21.11.2019 Druckversion

Der Sozialismus muss antirassistisch sein

Die nach dem Sieg im Januar 1959 ergriffenen Maßnahmen versetzten den strukturellen Komponenten des Rassismus einen vernichtenden Schlag. Die andere große Schlacht geht über die Verbreitung erzieherischer und kultureller Methoden, die zu einer neuen Subjektivität beitragen. Autor: Pedro de la Hoz
Werk des kubanischen Künstlers Raúl Martínez
Werk des kubanischen Künstlers Raúl Martínez

An einem Stand auf der Buchmesse erweckte die Aufschrift auf einem T-Shirt meine Aufmerksamkeit: „Die Rassen gibt es nicht, den Rassismus aber doch“. Fernando Ortiz schrieb 1946 in El engaño de las razas, ein bedeutendes Essay in der Evolution eines anthropologischen Denkens, das ihn dazu führte, die kubanische Ethnie als völlige Integration vorzustellen. Der Weise demontierte wissenschaftlich und konzeptuell die Anwendung rassischer Standards, um die Menschen zu klassifizieren und zu versuchen, die Überlegenheit einiger über andere aufgrund der Hautfarbe zu rechtfertigen.

Ein halbes Jahrhundert später, als die Avantgarde der wissenschaftlichen Gemeinde das menschliche Genom entschlüsselte, wurde die antizipierte Behauptung von Ortiz einmal mehr bestätigt. Die äußeren physischen Merkmale machen nur 0,01 Prozent der Gene aus, weswegen es nicht zutrifft und absolut unwissenschaftlich und verlogen wäre, intellektuelle Fähigkeiten und Begabungen Männern und Frauen aufgrund einer bestimmten Hautpigmentierung zuzuschreiben.

Schon zu dieser Zeit gab es Fortschritte bei den genetischen Studien der kubanischen Bevölkerung bei der Untersuchung der Faktoren, die Einfluss auf die menschliche Gesundheit haben. Die rigorose von Dr. Beatriz Marcheco geleitete Forschung ergab, weit über die anfänglich gesteckten Ziele hinaus, ein aufschlussreiches Ergebnis. „Ohne irgendeinen Zweifel sind wir Kubaner alle Mestizen, unabhängig von der Hautfarbe, die wir haben“, betonte die Doktorin und legte dafür unwiderlegbare Beweise dar.

Der Rassismus ist ein kulturelles Konstrukt, das im Falle Kubas Teil des Erbes der kolonialen Vergangenheit und der Ausbeutung der Arbeit afrikanischer Sklaven ist, die gewaltsam auf die Insel gebracht worden waren. Dem europäischen Weißen, der die Spitze der sozialen Pyramide im Wirtschaftssystem der Plantagen einnahm, genügte es nicht, die Sklaven nur auszubeuten und zu unterdrücken, er errichtete auch noch den Mythos der rassischen Minderwertigkeit der Schwarzen und deren Nachkommen. Ein Mythos, der sich in der Mehrheit der Kreolen mit heller Haut einbürgerte und die sozialen Praktiken während der kolonialen Epoche und später in den Jahren der neokolonialen Republik prägte, ein Phänomen, das mit den Klasseneinteilungen verbunden ist.

Ortiz sagte dies auch in einer Konferenz im Jahr 1950: „In Kuba ist der schlimmste Rassismus zweifellos der gegen den Schwarzen gerichtete. Der Rassismus gegen die Schwarzen ist dort besonders stark, wo jene sozial unterdrückt sind oder waren und man deren untergeordneten Zustand verewigen möchte. Das Schwärzeste des Schwarzen befindet sich nicht in der Schwärze seiner Haut
sondern in der seines sozialen Zustands. Die Definition des Schwarzen als ein Typus Mensch, so wie er allgemein bekannt ist und vom mit Vorurteilen behafteten Weißen gesehen wird, entstammt der Anthropologie und findet dann Eingang in die Politik. Daraus ergibt sich, dass mehr für seine soziale Entwicklung als für seine angeborene Natur gemacht werden muss. Der Schwarze hat weniger Schwärze von seinen dunkelhäutigen Vorfahren geerbt als von seinen weißen Mitbürgern. Der Schwarze ist nicht so schwarz, weil er so geboren wird, sondern weil man ihm das Licht genommen hat. Der Schwarze ist nicht so sehr schwarz sondern angeschwärzt“.

Die revolutionären Umwandlungen, die man nach dem Sieg im Januar 1959 begann umzusetzen, nahmen sich dieser Lage an und kehrten sie zu einem großen Teil um. Viele der nach dem Sieg im Januar 1959 ergriffene Maßnahmen versetzten den strukturellen Komponenten des Rassismus einen vernichtenden Schlag.

Zu verschiedenen Anlässen behandelte der Comandante en Jefe Fidel Castro das Thema öffentlich. Am 29. März 1959 sagte er bei einer Veranstaltung in Güines: „Wir, die wir ein Volk sind, das aus verschiedenen rassischen Komponenten zusammengesetzt ist – Wie können wir die Dummheit und die Absurdität begehen, den Virus der Diskriminierung zu beherbergen? Hier in dieser Menschenmenge sehe ich Weiße und ich sehe Schwarze, weil das das Volk ist; das Volk besteht aus Weißen und aus Schwarzen und aus Gelben und so muss Kuba sein. Das ist, was bei uns vorherrschen muss“.

Die Zerstörung der Grundlagen, die dem institutionalisierten und strukturellen Rassismus in der vorrevolutionären Ära Raum gaben, war nicht für eine Umwandlung der Subjektivität gerüstet. Es genügte nicht die Gleichheit der Rechte und die Chancengleichheit zu proklamieren und auch nicht, dass man die Akte der Diskriminierung verurteilt, wenn man nicht an einer Änderung der Mentalität arbeitet.
Der historische Führer der Revolution selbst hat in dem unverzichtbaren Buch „Hundert Stunden mit Fidel (2006) viel später Ignacio Ramonet gestanden; „Wir waren damals so naiv zu glauben, das wenn man die vollständige und absolute Gleichheit vor dem Gesetz erreicht, man der Diskriminierung ein Ende setzt. Es gibt nämlich zwei Sorten von Diskriminierung, eine subjektive und eine objektive (…) Die Revolution hat, über die erreichten Rechte und Garantien für alle Bürger jeder Ethnie und jeder Abstammung hinaus, nicht den gleichen Erfolg bei der Ausrottung der Unterschiede im sozialen und wirtschaftlichen Status der schwarzen Bevölkerung gehabt. Die Schwarzen wohnen nicht in den besten Häusern, man sieht sie noch die härtesten und am schlechtesten bezahlten Arbeiten verrichten und sie erhalten weniger finanzielle Zuwendungen von Familienmitgliedern im Ausland als ihre weißen Landsleute. Aber ich bin froh über das, was wir getan haben, um die Ursachen herauszufinden, aber wenn man diese nicht entschlossen bekämpft, kann es dazu kommen, dass die Marginalisierung in den folgenden Generationen anhält“.

Die andere große Schlacht geht über die Verbreitung der erzieherischen und kulturellen Methoden, die früher oder später zu einer neuen Subjektivität beitragen. Gleichzeitig dürfen wir nicht Haltungen dulden, die bewusst oder unbewusst, das Fortbestehen von Vorurteilen zeigen und die sich in diversen Räumen unseres Alltags offenbaren, von den Tätigkeitsprofilen bis hin zu den Fernsehprogrammen.

Es ist z.B. nicht möglich dass bei der Anstellung des Personals in einem Zentrum, das zu dem unverzichtbaren nicht-staatlichen Sektor der Dienstleistungen gehört, man die Beschäftigung von jungen und weißen Frauen propagiert. Hier geben sich Sexismus und Rassismus die Hand.

Genauso wenig ist es möglich ist außer Acht zu lassen, dass in einem vom Fernsehen übertragenen Gespräch gesagt wird, dass ein Tänzer mit schwarzer Haut eine „blaue“ Farbe habe oder dass man den Zugang von Tänzern verschiedener Hautfarben in den wichtigsten Tanzkompanien des Landes als „Mulatokratie“ bezeichnet, denn es gibt Dinge, die, wenn man sie unbedacht und unverantwortlich auf die leichte Schulter nimmt, Gefühle verletzen.

Der Weg ist weit, das wissen wir, aber wir müssen ihn Schritt für Schritt gehen, ohne Pausen zu machen. Bei mehr als einer Gelegenheit hat Armeegeneral Raúl Castro in den letzten Jahren von der Notwendigkeit gesprochen, dafür zu sorgen, dass die Frauen, die Schwarzen und die Mestizen eine tragende Rolle im politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben des Landes und bei der Perfektionierung unseres sozialen Modells einnehmen müssten. Bei der konstituierenden Sitzung der neunten Legislaturperiode der Nationalversammlung der Volksmacht am 18.April 2018 machte er, nachdem er die Fortschritte festgestellt hatte, einen Aufruf, daran zu arbeiten, um die in diesem Zusammenhang ererbten Probleme, die uns beschäftigen, einer definitiven Lösung zuzuführen. „Man muss die Dinge überdenken, sie nicht nur aussprechen und den Rest einem guten Gott überlassen, man muss sie erledigen oder nicht erledigen, weiter darauf bestehen, neue Methoden suchen, es vermeiden Irrtümer zu begehen, damit wir bei diesen edlen Zielen nicht kritisiert werden können, immer wieder an eine andere Lösung denken, wenn es uns nicht gelingt, die Probleme zu lösen“, betonte er.

Lasst und konsequent denken und handeln. Erinnern wir an ein von Fernando Martínez Heredia, diesem renommierten und revolutionären Intellektuellen, vorgebrachtes Konzept: „Der Kampf zur Vertiefung des Sozialismus in Kuba muss zwingend antirassistisch sein“

Granma, 21. November 2019

Veröffentlicht in Aktuelles | Tags: Kuba, Kubanische Revolution, Menschenrechte, Rassismus