22.06.2024 Druckversion

Klimawandel in Kuba: "Menschen werden ihr gesamtes Land verlieren"

Kubas Küsten sind vom Klimawandel besonders betroffen. Der Nationale Plan für Aufforstung und Kreislaufwirtschaft will die Auswirkungen mildern.
ein Moped fährt über eine überflutete Straße in einem kubanischen Dorf
Unter Wasser: Als Inselstaat ist Kuba besonders stark vom Klimawandel betroffen (Guanímar, 28.8.2023, Foto: Tageszeitung junge Welt)

Ein Gespräch mit Odalys Caridad Goicochea Cardoso, Leiterin der Generaldirektion für Umwelt des Ministeriums für Wissenschaft, Technologie und Umwelt (CITMA). Zuvor war sie Referentin und Leiterin für Umweltfragen in der CITMA-Delegation in Havanna. Gegenwärtig ist sie für die Gestaltung der kubanischen Umweltpolitik und die Kontrolle ihrer Umsetzung verantwortlich.

Kuba ist zwar nur für 0,08 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, leidet aber überproportional unter den Auswirkungen des Klimawandels. Welche Auswirkungen spürt die Bevölkerung im besonderen?

Die Treibhausgasemissionen sind in der Tat sehr unbedeutend, doch als Inselstaat ist Kuba vom Klimawandel stark betroffen. Die Ergebnisse der kubanischen Wissenschaft deuten darauf hin, dass diese Auswirkungen derzeit mit dem Anstieg der jährlichen Durchschnittstemperatur um ein Grad, der Zunahme der Intensität und der Häufigkeit von Ereignissen wie Wirbelstürmen und Dürren sowie dem Anstieg des durchschnittlichen Meeresspiegels zusammenhängen.

Veränderungen der Wasserverfügbarkeit und ein Rückgang der potentiellen Wasserressourcen sind fatal. Wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass bis zum Jahr 2050 durch den Anstieg des Meeresspiegels Landoberfläche verloren gehen wird. Das hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Siedlungen an der Küste und die Versalzung des Grundwassers aufgrund des Vorrückens der »salinen Wiege«.

Welch Folgen hat das für die Bevölkerung?

All dies hat zweifellos direkte Auswirkungen auf die Bevölkerung, ihre Gesundheit und ihren Lebensunterhalt, da sie von den genannten Folgen stark betroffen ist. Aus diesem Grund hat der staatliche Plan zur Bewältigung des Klimawandels, bekannt als »Tarea Vida« (Aufgabe Leben, jW) den Schutz der in gefährdeten Gebieten lebenden Bevölkerung und die Gewährleistung der Ernährungssicherheit zur Priorität erklärt.

Zu diesem Zweck wurde eine Reihe von Maßnahmen zur Überwachung und Kontrolle der Variablen vorgeschlagen, die die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung beeinträchtigen können. In diesem Sinne enthält der staatliche Plan zur Bewältigung des Klimawandels eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Überwachung, Beobachtung und – besonders wichtig – der Frühwarnung.

Die Bevölkerung spürt im besonderen die Auswirkungen des Temperaturanstiegs, der die Lebensqualität in den heißen Monaten mindert. Erschreckend ist, dass der Temperaturanstieg auch mit chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck zusammenhängt, die ebenfalls die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigen können.

Wenn keine Maßnahmen zum Schutz der Küstenregionen vor dem Anstieg des Meeresspiegels getroffen werden, könnten bis zum Ende des Jahrhunderts bis zu zehn Prozent des kubanischen Territoriums überflutet werden. Wie geht Kuba mit dem derzeitigen Anstieg des Meeresspiegels um?

Es gibt eine Reihe von Siedlungen an der Küste, die vom Anstieg des mittleren Meeresspiegels betroffen sein werden und ein Teil der Menschen wird sein gesamtes Land verlieren. Daher hat »Tarea Vida« strategische Maßnahmen für die Unterbringung und Umsiedlung dieser Bevölkerungsgruppen sowie der an diesen Orten befindlichen Einrichtungen konzipiert.

Die ersten kosteneffizienten Maßnahmen, die in Betracht gezogen werden, sind die naturbasierten Lösungen: die Wiederherstellung von Küstenökosystemen, wie Korallenriffe, Mangroven und Sandstrände. Es gibt Projekte, die auf diese Art von Maßnahmen abzielen, wie beispielsweise »­Manglar Vivo« (Lebendige Mangrove, jW), das vom Anpassungsfonds finanziert und im südlichen Teil der Provinzen Artemisa und Maya­beque Mangroven pflanzt.

Kuba gilt als weltweit führend im Bereich der nachhaltigen Entwicklung: Könnten Sie uns etwas mehr über den staatlichen Plan zur Bekämpfung des Klimawandels, die Nationale Umweltstrategie erzählen?

Kubas nationaler Plan für wirtschaftliche und soziale Entwicklung 2030 sieht eine nachhaltige, widerstandsfähige und emissionsarme Entwicklung vor. In Anbetracht dieses Ziels vor dem Hintergrund der kubanischen Umweltpolitik seit dem Sieg der Revolution im Jahr 1959 hat das Land eine Reihe von öffentlichen Klimapolitiken verabschiedet, die Teil der Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung sind.

Die Nationale Umweltstrategie ist das wichtigste Instrument der kubanischen Umweltpolitik. Wir erstellen eine Diagnose der Umweltsituation, definieren die wichtigsten Probleme und ermitteln Indikatoren zur Messung der Fortschritte. Wir arbeiten auf zwei Ebenen, der lokalen und der sektoralen.

Der staatliche Plan zur Bewältigung des Klimawandels ist die sehr langfristige Strategie, die bis zum Jahr 2100 angesetzt ist. Sie soll der Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels und zur Entwicklung von Maßnahmen zur Emissionsminderung dienen, die eine emissionsarme Entwicklung ermöglichen.

Derzeit wird an den Projektionen bis 2025 gearbeitet, für die erwartete Ergebnisse und Indikatoren für die Überwachung festgelegt wurden, auf denen dieser Plan aufbaut. Kuba ist momentan ebenfalls dabei, sein nationales Biodiversitätsprogramm für das Jahr 2030 zu aktualisieren.

Staaten, die auf »Marktlösungen« für den Klimawandel setzen und versuchen, Anreize für private Gewinne zu schaffen, nehmen den Kampf gegen den Klimawandel nicht auf. Warum ist das in Kuba anders?

Die Strategie für den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zählt die Erhaltung der natürlichen Ressourcen und der Ökosysteme zu ihren wichtigsten Grundsätzen: eine abfall- und umweltfreundliche Gestaltung und Bewirtschaftung sowie die Optimierung der Nutzung der im Land verfügbaren Materialien und Produkte.

Ihr allgemeines Ziel ist es, die Umsetzung von Kreislaufmodellen zu fördern, die durch die Verlängerung der Nutzungsdauer von Materialien und die Verringerung von Emissionen effizient in der Nutzung natürlicher Ressourcen und widerstandsfähig sind und den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung entsprechen, und zwar unter Beteiligung aller Akteure der Gesellschaft. Diese Strategie fördert die Entwicklung von Kreislaufbetrieben, die die Entstehung von Abfällen vermeiden und die Ressourcen optimal nutzen.

Vom Regenwald zu Zuckerrohrfeldern: Die jahrhundertelange koloniale und imperialistische Ausbeutung und das Kuba aufgezwungene Agrarexportmodell haben in Kuba zu chronischer Entwaldung und Bodenerosion geführt. Wie kommen die Wiederaufforstungsprogramme voran?

Zum Zeitpunkt des Sieges der Revolution betrug die Waldfläche 13,4 Prozent der Gesamtfläche. Die Revolutionsregierung kümmerte sich um dieses Problem und verwirklichte ein Wiederaufforstungsprogramm, in dessen Folge dieser Indikator von 1.000.769 Hektar im Jahr 1959 auf 3.301.204 Hektar im Jahr 2020 anstieg, womit bis jetzt ein Waldbedeckungsindex von 31,8 Prozent erreicht wurde, bei einem im Lande vorhandenen Potential, das 33 Prozent nicht überschreitet.

Derzeit wird weiter an der Verbesserung der Waldbewirtschaftung gearbeitet, die in der kontinuierlichen Vergrößerung der Waldfläche, der Erhaltung und der effektiven Bewirtschaftung der Wälder besteht. Dies ermöglicht es, die Produktivität der Waldökosysteme zu steigern und damit ein größeres Angebot an Umweltgütern und -dienstleistungen in quantitativer und qualitativer Hinsicht zu fördern. Das führt zur Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme selbst, der produktiven Landschaften, der Bergmassive, der Wassereinzugsgebiete und der menschlichen Siedlungen.

Auf diese Weise wird ein Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel und zum Wohlergehen der Gesellschaft geleistet. Das nationale Programm zur Verbesserung und Erhaltung des Bodens befasst sich weiterhin mit allen Fragen im Zusammenhang mit Bodenerosion, -verdichtung und -versalzung, wobei alle wissenschaftlichen Ergebnisse berücksichtigt werden.

Kuba war eines der ersten Länder der Welt, das 1976 den Umweltschutz in seine Verfassung aufgenommen hat. Inwieweit haben sich die Strategien und Ansätze seither verändert?

Erinnern Sie sich daran, dass 1992 die »nachhaltige soziale und wirtschaftliche Entwicklung« in die Verfassung der Republik aufgenommen wurde und 2019 Artikel 75 der aktuellen Verfassung verabschiedet wurde, der das »Recht auf eine gesunde und ausgewogene Umwelt« festschreibt. All dies hat zu einer systematischen Aktualisierung unserer Umweltgesetzgebung geführt.

Tatsächlich wurde am 14. Mai 2022 das Gesetz 150/2022 über das System der natürlichen Ressourcen und der Umwelt verabschiedet, das das Gesetz Nr. 81 von 1997 »Über die Umwelt« ersetzt. Das aktuelle Gesetz basiert auf dem Ansatz des Ökosystems und stärkt die führende Rolle des Ministeriums für Wissenschaft, Technologie und Umwelt im Bereich der natürlichen Ressourcen, der Ökosysteme und der Bekämpfung des Klimawandels in Abstimmung mit Behörden, Einrichtungen und der Gesellschaft im allgemeinen.

Auf der UN-Konferenz, die 1992 in Brasilien stattfand, hielt Fidel Castro eine alarmierende und für ihn ungewöhnlich kurze Rede. Darin betonte er, dass die internationalen Beziehungen der Ausbeutung und Ungleichheit auf die Geschichte des Kolonialismus und Imperialismus zurückgehen, und erklärte, warum die Zerstörung der Umwelt und der Raub von Ressourcen von den kapitalistischen Konsumgesellschaften angeheizt wird und die Menschheit auszulöschen droht. Warum verstehen die kapitalistischen Staaten das immer noch nicht?

Das sozialistische Kuba ist – wie schon erwähnt – nur für einen winzigen Prozentsatz der weltweiten Emissionen von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen verantwortlich, aber als Inselstaat im Karibischen Meer überproportional von den negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffen.

Wir sprechen von Problemen, die mit dem Temperaturanstieg oder dem Eindringen von Salzwasser verbunden sind, das unsere unterirdischen Grundwasserleiter beeinträchtigen kann. Eine anderes trauriges Beispiel ist die Intensität und Wiederholung von Dürren und extremen Wirbelstürmen, die uns in Lebensgefahr bringen. All das hängt damit zusammen, dass die kapitalistischen Staaten nicht gegen den Klimawandel kämpfen, darum ging es in Fidel Castros Rede.

Das Interview führte Annuschka Eckhardt.

Quelle: Tageszeitung Junge Welt vom 18.6.2024

Veröffentlicht in Rund um Kuba | Tags: Klimawandel, Ökologie