24.09.2016 Druckversion

Was ist Euer Geheimnis?

Gespräch mit Peter Mertens, Vorsitzender der belgischen Arbeiterpartei (PVDA), am Rande des linken Volksfestes „Manifiesta“ in Bredene aan Zee, 16. bis 18. September 2016. Die Fragen stellte Jörg Rückmann (Cuba Sí)
PVDA-Vorsitzender Peter Mertens (Mitte) und Jörg Rückmann von Cuba Sí
Im Gespräch: PVDA-Vorsitzender Peter Mertens (Mitte) und Jörg Rückmann von Cuba Sí auf der „Manifiesta“

Cuba Sí ist jetzt schon zum sechsten Mal Gast auf der Manifiesta. Und jedes Mal staunen wir erneut über dieses riesige, phantasievolle linke politische Fest – dieses Jahr mit fast 20.000 Besuchern. Wie macht Ihr das? Was ist Euer Geheimnis?

Peter Mertens: (lacht) Nun ja, wir haben ja mal viel kleiner angefangen. Wir sind mit der Manifiesta jetzt im 7. Jahr, und am Anfang kamen nur rund 4.000 oder 5.000 Besucher. Aber dass es ein sehr schönes Fest ist, das hat sich natürlich über die Jahre herumgesprochen. Die Manifiesta, unser Fest der Solidarität, ist zu einem Treffpunkt für alle geworden, die auf der politisch linken Seite stehen, nicht nur für die Mitglieder unserer Partei, der PVDA.

Auffallend für uns aus Deutschland ist der sehr hohe Anteil junger Leute – sowohl unter den Gästen als auch unter den Organisatoren und Helfern der Manifiesta. Würdest Du uns verraten, wie Ihr es schafft, linke Politik für die jüngeren Generationen so attraktiv zu machen?

Peter Mertens: Wir haben zum einen das politische und kulturelle Programm für unser „Feest van de Solidariteit“ zielgerichtet abgestimmt auf die jüngeren Generationen. Schaut Euch das Programm der Manifiesta an: Man findet dort z.B. die Musik, die junge Leute heute hören. Zum anderen wählen wir die Themen aus, die im Alltag der Menschen – ob Student, Arbeiter oder Rentner – eine Rolle spielen. Wir sprechen die Sprache der „Leute auf der Straße“, um verstanden zu werden. Natürlich nutzen wir auch konsequent die sozialen Medien, in denen die jüngere Generation eher zu Hause ist als die ältere. In einer linken Partei, in einer linken Bewegung braucht man sowohl die Erfahrung und die Erlebnisse der Alten, aber man muss auch bewusst „Platz machen“ für neue Leute und für neue Ideen. Wir versuchen ganz bewusst, die vielen freiwilligen Helfer, ohne die ein solches Fest nicht zu stemmen wäre, einzugliedern und an uns zu binden. Mittlerweile haben wir eine gute Struktur von Freiwilligen aufgebaut, die uns mit viel Herz und vollem Einsatz unterstützen.

Wie viele Mitglieder hat die PVDA?

Peter Mertens: Die PVDA hat jetzt ca. 10.000 Mitglieder, und unsere Partei ist in 3 von 4 Parlamenten vertreten – leider noch nicht in Flandern. Wir sind eine linke Partei, die an Mitgliedern zulegt. Aber wir wollen nicht wachsen um jeden Preis – wir wollen zuallererst unsere klare Linie verfolgen und die Leute für diesen klaren politischen Ansatz gewinnen.

Bei uns zu Hause wählen an diesem Manifiesta-Wochenende die Berliner ein neues Parlament, und die LINKE könnte, glaubt man den Prognosen, vor Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten und den Grünen stehen. Strebt die PVDA auch eine Koalition an, um möglicherweise in Regierungsverantwortung eigene Programmpunkte umsetzen zu können?

Peter Mertens: Nein. Man muss sich entscheiden, was man politisch will. Eine wirklich linke Politik oder ein weiter so mit einer Lissabon-EU, mit einer militarisierten EU, mit einem Stabilitätspakt, mit Privatisierungen von öffentlichem Eigentum etc. Wir wollen das nicht! Die Leute, die hier zu unserer Manifiesta kommen, sagen Nein zu einer solchen Politik. Sie fordern von uns klare politische Aussagen. Ein Beispiel: Natürlich setzen wir uns als PVDA für den Erhalt der Umwelt ein. Wir machen, wenn Du so willst, auch grüne Politik. Aber wir glauben nicht an solche Schlagworte wie z.B. Green Economy. Wir legen unserem politischen Handeln immer eine marxistische Analyse zugrunde. Die Erfahrungen mit solchen Koalitionen liegen doch vor. Auch in Deutschland. Oder in Griechenland. Was ist denn aus dem politischen Projekt Syriza geworden? Die Fragen lauten immer: Was kann man tatsächlich vom eigenen Programm umsetzen, und welche Positionen muss man opfern für eine Regierungsbeteiligung? Wie werden die Wähler die tausenden Kompromisse, die man in einer Koalition eingehen muss, honorieren?

Welchen Stellenwert haben die Themen Solidarität und Internationalismus in der PVDA?

Peter Mertens: Wir stehen hier zum Interview vor dem Zelt unserer Partei, und daneben hat die ICS (die belgische Solidaritätsorganisation „Initiativa Cuba Socialista“ – J.R.) das Che-Presente-Zelt aufgebaut, wo auch Ihr Euren Stand habt. Die ICS ist eine eigenständige Organisation, gehört organisatorisch nicht zur Partei, Aber diese Anordnung der beiden Zelte nebeneinander, diese Verbindung ist gewollt. Themen wie Solidarität und Internationalismus sind in unserer Partei fest verankert. Und wir kommunizieren diese Themen öffentlich. Aber wir sagen auch: Menschen vom Gedanken der Solidarität und des Internationalismus zu überzeugen und zu begeistern – das ist kein Selbstläufer, kein Automatismus. Man kann diese Ideen programmatisch verankern, muss sie aber auch leben. Die PVDA organisiert z.B. schon seit 1997 Reisen nach Kuba, und wir üben Solidarität mit Palästina.

Wenn Du einen Wunsch frei hättest, wie sich die PVDA in Belgien und wie sich die linke Bewegung in Europa in den kommenden Jahren entwickeln sollte ...

Peter Mertens: (lacht) Ich wünsche mir für die kommenden Jahre, dass sich alle, die sich dem linken Lager zurechnen, sich auch authentisch links organisieren. Daraus muss sich eine echte Gegenstimme zum Establishment entwickeln, eine starke Kraft gegen Nationalismus, Faschismus und Krieg – und das nicht nur in Belgien und in Europa, sondern weltweit.

Veröffentlicht in Rund um Kuba | Tags: Kultur, Manifiesta, Milch für Kubas Kinder, Solidarität