12.01.2022 Druckversion

20 Jahre Guantánamo: Lager der Lügen

US-Folterlager auf Kuba besteht seit 20 Jahren. Kein US-Präsident hat es trotz aller Versprechen geschlossen, der "wertebasierte" Westen schaut weg
Protest vor der US-Botschaft in Berlin gegen das US-Lager Guantanamo. Quelle: Heinrich Bücker, Berlin
Protest vor der US-Botschaft in Berlin gegen das US-Lager Guantanamo. Quelle: Heinrich Bücker, Berlin

Menschenrechtsexperten und Politiker mehrerer Parteien in Deutschland haben zum wiederholten Male die Schließung des seit 20 Jahren bestehenden US-Gefangenenlagers auf der Marinebasis Guantánamo Bay auf Kuba gefordert.

Dort würden seit zwei Jahrzehnten Menschenrechte systematisch verletzt, heißt es in einer Erklärung von Amnesty International. Das Lager sei zum "Sinnbild für brutale Exzesse des Anti-Terror-Kampfes der USA geworden", so ein offener Brief von gut einem Dutzend Bundestagsabgeordneter verschiedener Fraktionen.

Die damalige US-Regierung hatte das Lager am 11. Januar 2002 eröffnet. "Viele der rund 780 Menschen, die seitdem dort gezielt außerhalb jeder gerichtlichen Kontrolle inhaftiert gewesen sind, haben vor oder während ihrer Haft schwerste Menschenrechtsverletzungen erlitten – darunter Folter und Verschwindenlassen", stellt Amnesty International fest [1]. Bis heute würden in Guantánamo Folterüberlebende ohne angemessene medizinische Versorgung, ohne Anklage und faire Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit festgehalten.

Zu einem ähnlichen Schluss kommen Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und Linken in einem offenen Brief an US-Vizepräsidentin Kamala Harris und die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi [2]. In dem Schreiben fordern die Bundestagsabgeordneten den US-Präsidenten auf, den wiederholten Zusagen, das Gefangenenlager zu schließen, nachzukommen.

Guantánamo sei schließlich eine Einrichtung, die nach den Worten von Ex-US-Präsident Barack Obama "nie hätte eröffnet werden dürfen". An den amtierenden US-Präsidenten heißt es in dem Brief, der von der linken Abgeordneten Sevim Dagdelen initiiert worden war:

Wir rufen Sie auf, die Rechte aller Inhaftierten zu wahren und das Gefangenenlager auf Kuba endlich zu schließen, so wie Sie es als Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2009 schon versprochen haben.

Der Brief wurde unter anderem von den SPD-Abgeordneten Bengt Bergt und Anke Hennig sowie von der Grünen-Abgeordneten Susanne Menge unterzeichnet.

 

Trotz Ankündigungen wurde Guantánamo nie geschlossen

Das Gefangenenlager auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba war nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 geschaffen worden, verantwortlich war damals Präsident George W. Bush von der Republikanischen Partei. Das erklärte und an sich schon fragwürdige Ziel bestand darin, mutmaßliche Terroristen islamistischer Gruppen ohne Prozess festzuhalten.

Barack Obama wollte das Lager als Amtsnachfolger von Bush schließen, kam diesem Versprechen aber nicht nach. Seine Regierung erklärte das mit dem Widerstand im US-Kongress.

Auch der amtierende Präsident Joseph Biden, ebenfalls von der Demokratischen Partei, hatte nach seiner Amtsübernahme seinen Willen betont, das umstrittene Gefangenenlager zu schließen. Bereits vor 13 Jahren hatte Biden auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt:

Amerika wird nicht foltern. Wir werden die Rechte derjenigen wahren, die wir vor Gericht stellen. Und wir werden das Gefangenenlager in Guantánamo Bay schließen.

Joseph Biden

Der Darstellung, nach der die US-Demokraten für eine Schließung des Gefangenenlagers seien, Donald Trump und die Republikaner es hingegen offenhalten wollten, trat Amnesty in dem Bericht "USA: Right the Wrong. Decision Time on Guantánamo" [3] entgegen. In den US-Regierungen gebe es von 2002 bis heute erkennbare Kontinuitäten:

Politik und Rhetorik haben sich zwar geändert, aber unter drei Präsidenten und während fünf Amtszeiten haben die USA in innerstaatlichen Rechtsstreitigkeiten und Mitteilungen an UN-Vertragsorgane ihren einseitigen, verzerrenden "Kriegsrechts"-Rahmen verteidigt, um diese Gefangenen festzuhalten und dabei internationale Menschenrechtsprinzipien zu umgehen. Jeder Präsident hat es versäumt, die USA näher an die Verantwortlichkeit für die an den Gefangenen begangenen Verbrechen nach internationalem Recht heranzuführen. Sie haben es versäumt, den mehrfachen Aufforderungen der UN-Vertragsorgane und anderer UN-Experten nachzukommen, die die USA aufforderten, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen.

Amnesty International

Guantánamo und Black Sites der CIA: Der Westen schaut weg

Ähnliches gilt für europäische Staaten, von denen die Existenz sogenannter Black Sites, Geheimgefängnisse der USA für mutmaßliche Terroristen, nie aufgearbeitet wurde. Auch hier war es die Organisation Amnesty International, die in einer Untersuchung des Themas zum Schluss kam [4], "dass die CIA an 20 Standorten auf der ganzen Welt Black Sites unterhält, darunter Thailand, Polen, Rumänien, Litauen und Kosovo."

Zu einem der vehementesten Kritiker des Lagers gehört der Bremer Murat Kurnaz, der selbst nach Guantánamo verschleppt wurde. Im Interview mit der Zeit sagte er 2013 über einen Film, der sein Schicksal behandelt [5]:

Die Wirklichkeit ist so brutal, dass man sie kaum zeigen kann. (…) In meinem Buch schildere ich detailliert, was ich ertragen habe – und alles konnte ich gar nicht schreiben, so schreckliche Dinge habe ich erlebt. (…) Für mich gehörte zu den schlimmsten Erlebnissen in Guantánamo, mit ansehen zu müssen, wie junge Häftlinge brutal geschlagen wurden. Vor allem an ein Erlebnis denke ich immer wieder: Es gab viele giftige Tiere dort im Gefängnis. Als ein 14-jähriger Junge von einer Spinne gebissen wurde, eine schlimme Wunde hatte und nicht mehr aufstehen konnte, haben Wärter versucht, ihn mit Schlägen hochzutreiben. Sie haben ihn verprügelt und dann aus der Zelle geschleift. Das war ein besonders schlimmer Moment.

Murat Kurnaz

Der verstorbene Autor Roger Willemsen merkte schon 2009 gegenüber der taz an, die Tatsache, dass das Lager weiterhin bestehe, zeige, dass Politik und Öffentlichkeit nicht genug getan haben [6]. Diese Aussage gilt 13 Jahre später ebenso wie eine andere Einschätzung Willemsens:

Man stelle sich mal vor, was passieren würde, wenn muslimische Staaten 1.000 westliche und amerikanische Häftlinge ohne Prozess in ein Lager sperren würden, um sie dort zu foltern. Das böte das Potenzial, aus dem dritte Weltkriege gemacht werden.

 

Autor: Harald Neuber, erschienen am 11. Januar 2022


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https://www.heise.de/-6322668

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/usa-biden-muss-guantanamo-endlich-schliessen
[2] https://www.sevimdagdelen.de/gefangenenlager-guantanamo-schliessen-und-rechtsstaatlichkeit-herstellen/
[3] https://www.amnesty.de/sites/default/files/2021-02/Amnesty-Bericht-Guantanamo-Januar-2021.pdf
[4] https://www.amnestyusa.org/mapping-cia-black-sites/
[5] https://www.zeit.de/kultur/film/2013-05/murat-kurnaz-guantanamo/komplettansicht
[6] https://taz.de/Roger-Willemsen-ueber-Guantanamo/!5169098/

Veröffentlicht in Standpunkt | Tags: Menschenrechte, Terrorismus