21.02.2014 Druckversion

Lateinamerika – Inspiration für linke Politik in Europa

Ein Rückblick auf den CELAC-Gipfel in Havanna und ein Ausblick auf den EU-Wahlkampf der LINKEN
Neues Selbstbewusstsein in Lateinamerika (Karikatur: Juventud Rebelde, Kuba)
Neues Selbstbewusstsein in Lateinamerika (Karikatur: Juventud Rebelde, Kuba)

Für so manch einen war es eine politische Sensation. Vom 28. bis 29. Januar trafen sich die Staats- und Regierungschefs der 33 Mitgliedsländer der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) in Havanna zu ihrem 2. Gipfeltreffen. „Eine so große Präsenz von Regierungsvertretern hat es in der Geschichte Latein­amerikas noch nicht gegeben“, sagte die zukünftige Präsidentin Chiles, Michelle Bachelet. Gäste dieses Treffens waren auch UN-General­sekretär Ban Ki-Moon, Vertreter der Wirtschaftskommis­sion für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL), der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sowie der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), José Insulza.

Die CELAC, gegründet 2011, ist eine souveräne Organisation der lateinamerikanischen und karibischen Staaten – ohne die USA und ­Kanada, ohne die Bevormundung der alten Kolonialmächte –, aber mit Kuba als gleichberechtigtem Mitglied. Die CELAC ist eine Alternative zur OAS, aus der Kuba 1962 ausgeschlossen wurde, und sie ist heute die legitime Interessenvertretung Lateinamerikas.

Trotz der unterschiedlichen politischen und ökonomischen Ausrichtungen der Mitgliedsländer gelang es auf dem Gipfeltreffen in Havanna, gemeinsame Erklärungen und Aktionspläne zu verabschieden. Die Bekämpfung der Armut, des Hungers und der Ungleicheit hat die CELAC als gemeinsame Aufgabe beschlossen. Lateinamerika und die Karibik sollen eine Zone des Friedens werden. Die Mitgliedsstaaten verzichten auf die Nutzung von Atomwaffen und lehnen militärische und politische Interventionen von außen ab. Unstimmigkeiten zwischen den Ländern sollen durch den Dialog innerhalb der Gemeinschaft gelöst werden. Die CELAC-Mitglieder haben in Havanna außerdem die Beendigung der US-Blockade gegen Kuba gefordert.

„Jetzt sprechen die Völker und nicht mehr die Oligarchien unserer Länder“ (Evo Morales, Präsident Boliviens), und es besteht die historische Chance, „die Machtverhältnisse in der Region zu verändern, um Frieden, Gleichheit und Fortschritt für die Völker zu garantieren (Rafael Correa, Präsident Ecuadors). Evo Morales betonte, dass „die Länder nun über ihre natürlichen Ressourcen und ihre Politik selbst entscheiden können, ohne Druck der USA oder des Internationalen Währungsfonds“. Cristina Kirchner (Präsidentin Argentiniens) hob in ihrer Rede die Wichtigkeit der produktiven Entwicklung Lateinamerikas auf der Grundlage einheimischer Rohstoffe hervor. José Mujica (Präsident Uruguays) sagte, dass angesichts der Klimakrise eine neue Kultur erforderlich sei, die nicht auf der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschen beruhe. Selbst Chiles noch amtierender rechtskonservativer Präsident Sebastián Piñera sprach von der „Notwendigkeit einer Wiedergeburt“ der Region.

Für Kuba war der CELAC-Gipfel ein großer diplomatischer Erfolg. Das Land ist nach Jahrzehnten einer aufgezwungenen weitgehenden Isola­tion auf dem amerikanischen Kontinent heute fester Bestandteil der lateinamerikanischen Staaten­famile und hatte bis zum Gipfeltreffen sogar den CELAC-Vorsitz inne. 

Mit dem CELAC-Gipfel von Havanna scheint ein Traum von Simon Bolivar und José Martí in Erfüllung gegangen zu sein. „Einig im Herzen und einig im Ziel“ – so schrieb Martí 1891 in seinem Aufsatz „Nuestra Amé­rica“ – müsse sich Unser Amerika nach außen präsentieren. Genau dies haben die Länder Lateinamerikas in Havanna nun getan.

CELAC-Gipfel hat internationale Bedeutung

Der CELAC-Gipfel ist aber nicht nur ein regionales Ereignis. Frieden, Klima, nachhaltige Entwicklungsprogramme für die „Dritte Welt“, die Bekämpfung von Armut, Hunger und Ungleichheit, die Nichtein­mischung, die friedliche Lösung von Konflikten, Atomwaffenverzicht u. v. a. m. sind ­Themen mit internationaler Bedeutung und müssen auch international gelöst werden. Deshalb ist ein Blick nach Latein­amerika – besonders für die deutsche, europäische und internationale Linke – notwendig.

„Lateinamerika ist derzeit die Region der Erde“, schreibt Ignacio Ramonet (ehemaliger Chefredakteur der spanischen Ausgabe der „Le Monde diplomatique“), „in der die meisten Erfahrungen linker Politik gesammelt werden. Wenn wir den sozialen Fortschritt in anderen Teilen der Erde voranbringen wollen, müssen wir uns über dieses Geschehen informieren.“

Lateinamerika präsentiert sich seit mehreren Jahren mit einem ­neuen Selbstbewusstsein. Es tritt als souveräner politischer Akteur und selbstbewusster Handelspartner auf, schafft neuartige Wirtschafts­kooperationen und wird von den west­lichen Industriestaaten wegen seines Rohstoffreichtums regelrecht umworben. Auch die Europäische Union bemüht sich derzeit sehr um Lateinamerika.

Aber die EU muss heute mit dem neuen Partner CELAC verhandeln. Sie wird lernen müssen, dass es Verhandlungen nur auf Augenhöhe geben wird. Sie muss begreifen, dass die Zeiten des alten kolonialen Denkens – des Imports von Rohstoffen aus dieser Region und der Export von Industrieprodukten dorthin – zu Ende gehen. Langsam begreift die EU, dass gute Beziehungen zu Lateiname­rika ohne gute Beziehungen zu Kuba nicht zu haben sind. Sie muss akzeptieren, dass der Einmischungsversuch mittels des „Gemeinsamen Standpunktes“ gegen Kuba von Anfang an eine falsche Politik war und gescheitert ist.

Die EU bemüht sich derzeit sehr intensiv um ein bilaterales Abkommen mit Kuba. Dies wird aber nur funktionieren, wenn sie ihre Forderung nach einem Systemwechsel in Kuba – so wie im „Gemeinsamen Standpunkt“ formuliert – aufgibt. Mittlerweile haben 18 Länder der Europäischen Union bilaterale Verträge mit Kuba abgeschlossen. Anfang Januar 2013 haben auch die Niederlande weiterführende Gespräche mit Havanna vereinbart und sich damit von der Einmischungspolitik der EU verabschiedet. Mit ­einem Vertrag zwischen Deutschland und Kuba wird indes frühestens 2015 gerechnet.

Lasst die Völker nicht allein!

Die Linksentwicklungen in Lateinamerika und der Integrationsprozess in der Region haben das Potenzial, das politische und ökonomische System der Welt neu zu justieren. Dieser Integrationsprozess, wie wir ihn gegenwärtig erleben, wäre ohne das Vorbild Kuba nicht denk­bar. Das Land von Martí, Che und ­Fidel hat den Menschen in Latein­amerika und in aller Welt Respekt abgenötigt und bewiesen: Eine bessere Welt ist tatsächlich möglich!

Der CELAC-Gipfel in Havanna hat die drängendsten Probleme der Menschheit thematisiert – und er hat deutlich gezeigt, dass Länder mit unterschiedlicher politischer und ökonomischer Ausrichtung gemeinsam diese Probleme angehen können und dabei Erfolg haben.

Wir, die Linken in Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt, müssen unsere Kräfte bündeln und die Linksbewegungen in Lateinamerika – und überall auf der Welt – unterstützen. Alvaro García ­Linera, Vizepräsident Boliviens, forderte von den ­Linken in Europa: „Kämpft, kämpft, kämpft! Lasst uns, die anderen Völkerer … nicht ­allein. Wir brauchen Euch!“ (IV. Kongress der Europäischen Linkspartei, 13. – 15. Dezember 2013, Madrid)

DIE LINKE in Deutschland muss eine klare Position beziehen, wenn z. B. linke Regierungen in Lateinamerika attakiert werden, sie muss als konsequente Friedenspartei noch stärker zu hören sein, wenn z. B. in Deutschland oder in der EU der Ruf nach militärischem Eingreifen erschallt, wenn UN-Mandate für einen Krieg missbraucht werden ­sollen, wenn Sanktionen gegenüber missliebigen Regierungen verhängt und Gesetzes- und Verfassungsänderungen in anderen Ländern gefordert werden.

In diesem Jahr erinnert sich die Welt an den Beginn des ersten Weltkrieges vor 100 Jahren und den Beginn des zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren. Auch deshalb muss DIE LINKE mit ihren unantastbaren friedenspoli­tischen Grundsätzen in den EU-Wahlkampf gehen. Sie muss ein deut­liches Zeichen setzen gegen Krieg, gegen Bundeswehreinsätze im ­Ausland, gegen die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder.

Die gemeinsame Vision Lateinamerikas

Ja, der CELAC-Gipfel in Havanna war für so manch einen eine politische Sensation. Für jene Kräfte, die den Emanzipationsprozess der ­Völker Lateinamerikas bekämpfen, für die Journalisten, die gegen diese Linksentwicklungen in der Region anschreiben, für die internationalen Konzerne, die „ihre“ Rohstoffreserven gefährdet sehen, war der Gipfel ein politisches Erdbeben.

Für die Linken in aller Welt, die mit großer Sympathie die fortschrittlichen Entwicklungen in Lateinamerika verfolgen, sind die neuen Formen der Zusammenarbeit in Organisationen wie z. B. ALBA, Unasur, Mercosur, Petrocaribe, CARICOM und in der CELAC ein vorläufiger ­Höhepunkt des über 200-jährigen Kampfes für die Unabhängigkeit.

„Die CELAC ist die gemeinsame Vision des lateinamerikanischen und karibischen Großen Vaterlandes, das nur seinen Völkern verpflichtet ist. Ein Raum, in dem wir die Ressourcen auf souveräne Weise und für das Gemeinwohl verwenden und die wissenschaftlichen und technischen Kapazitäten für den Fortschritt unserer Völker einsetzen können – und in dem wir die unveräußerlichen Prinzipien wie Selbstbestimmung, Souveränität und souveräne Gleichheit der Staaten durchsetzen“ (Raúl Castro, Präsident Kubas).

PS. In den internationalen Medien war über den CELAC-Gipfel in Havanna kaum etwas zu lesen. Warum wohl?

Veröffentlicht in Rund um Kuba | Tags: DIE LINKE, Medien, Menschenrechte, Solidarität