14.05.2022 Druckversion

Medizinischer Betreuungsschlüssel 4000:835

Cuba sí-Delegation besucht das Provinzkrankenhaus „Agostinho Neto“ in Guantánamo und informiert sich über die medizinische Versorgung von COVID 19-Patient*innen. Der Betreuungsschlüssel des kubanischen Gesundheitswesens macht uns sprachlos.
Die von unserer Delegation mitgebrachten Sachspenden wie diese Beatmungsmasken wurden mit großer Freude ausgepackt und während unseres Rundgangs gleich den betreffenden Stationen ausgehändigt. Foto: Cuba sí
Die von unserer Delegation mitgebrachten Sachspenden wie diese Beatmungsmasken wurden mit großer Freude ausgepackt und während unseres Rundgangs gleich den betreffenden Stationen ausgehändigt. Foto: Cuba sí

Der Termin für den Besuch im Provinzkrankenhaus „Agostinho Neto“ am Stadtrand von Guantánamo hätte passender nicht gewählt sein können: Der 12. Mai ist der Welttag der Krankenpflege und so hören wir immer wieder den fröhlichen Gruß „Felicidades!“ (Herzlichen Glückwunsch!) der Schwestern, Pfleger und Ärzt*innen für ihre Kolleg*innen auf den Gängen.

Grund zur Freude besteht durchaus, denn während unseres Austauschs mit den leitenden Ärzt*innen und Schwestern wird die Erleichterung deutlich, die Hochphase der COVID 19-Pandemie überwunden zu haben. „Dank Freunden wie Euch, die auf der ganzen Welt Kuba beim Kampf gegen die Pandemie beigestanden haben, können wir uns nun wieder voll auf die Behandlung unserer Patient*innen konzentrieren. Die von Cuba sí gespendete Schutzausrüstung mit FFP2-Masken und Schutzanzügen, Handschuhen, Gesichtsvisieren, Desinfektion und die Beatmungsmasken und Ultraschallgeräte waren uns dabei eine wertvolle Hilfe, mit der wir Menschenleben retten und das Infektionsrisiko für das medizinische Personal verringern konnten“, führt Dr. Luis Alberto Ramírez aus, der stellvertretende Leiter der Chirurgie.

„Eure Spende wiegt umso schwerer, als durch die verschärfte US-Blockade kaum medizinisch notwendige Ausrüstung für die Behandlung der COVID-Patient*innen ins Land kommen konnte. Diese Blockade nimmt den Verlust von Menschenleben billigend in Kauf, wenn medizinischer Sauerstoff, Rohstoffe für die Medikamentenherstellung oder einfachste Schutzkleidung nicht eingeführt werden können“, klagt er an.

Cuba sí hatte im Herbst 2021 einen Container mit medizinischen Sachspenden im Wert von über 120.000 Euro auf die Reise für das Provinzkrankenhaus in Kubas östlichster Provinz geschickt.

Dr. Ramírez erläutert weiter, wie die Betreuung der COVID-Patient*innen erfolgte: „Gleich zu Beginn der Pandemie haben wir das Krankenhaus zur Behandlungszentrale umgerüstet und innerhalb der Stationen umgebaut. 98 % aller Fälle in der Region sind hier behandelt worden, vor allem die schweren Verläufe, die auch beatmet werden mussten“, erinnert er sich.

Außerhalb des Krankenhauses waren mehrere Isolierstationen eingerichtet worden, wo Erkrankte mit leichterem Verlauf bis zu ihrer Genesung betreut wurden. Auch für das behandelnde Personal standen Quarantänestationen bereit, um sich nach den oft mehrtägigen Einsätzen auszuruhen und eine eigene Infektion bis zum nächsten Einsatz auszuschließen. So wurde beispielsweise auch das Gästehaus von Cuba sí und unserer Partnerorganisation ACPA (Kubanische Vereinigung für Tierproduktion) in der Gemeinde Felicidad de Yateras, rund 30 Kilometer von Guantánamo entfernt, für diesen Zweck genutzt.

„Das abgestimmte Vorgehen aller beteiligten Behörden und Einrichtungen zusammen mit einer konsequenten Kontaktverfolgung und Isolierung haben es ermöglicht, die Pandemie zu kontrollieren – eine maßgebliche Erleichterung trat natürlich mit unserer Impfkampagne ab Oktober 2021 ein“, erläutert uns Dr. Odeili Martínez, die stellvertretende Leiterin der Diagnostik.

Wir wollen nun den Betreuungsschlüssel erfahren und haben die systematische Überlastung des deutschen Klinikpersonals vor Augen – nicht nur in Zeiten von COVID 19. Bei Dr. Ramírez´ Antwort spendet unsere Delegation spontan Applaus: „Unser Krankenhaus verfügt über 835 Betten, die wir auf mehr als 1.000 aufstocken können. Während der Hochphase der Pandemie stellten wir zusätzlich auch in den Isolierstationen Plätze bereit – insgesamt etwa 2.000 Betten. Das haben wir dank unserer mehr als 4.000 Mitarbeiter*innen geschafft – davon rund 900 Ärzt*innen, 1.500 Schwestern und Pfleger sowie technisches und administratives Personal.“

Als unsere Delegationsteilnehmerin Gudrun über ihre Erfahrungen mit dem deutschen Gesundheitswesen bei einem medizinischen Eingriff im letzten Jahr berichtet, sind es unsere kubanischen Gesprächspartner, denen der Mund offen stehen bleibt: „Im führenden Berliner Krankenhaus, der Charité, wurde die Visite in zwei Minuten abgehandelt. Nachts betreute eine einzige Schwester rund 20 Patient*innen, die teilweise frisch operiert auf der Station lagen. Für ein aufmunterndes Wort blieb schlichtweg keine Zeit“, erinnert sich Gudrun.

Ein Raunen, verbunden mit ungläubigen Blicken, geht durch die Runde. „Das persönliche Wort, Mitgefühl und Anteilnahme spielen für die Genesung doch eine ebenso wichtige Rolle wie die medizinische Versorgung. Für unsere kubanischen Ärzt*innen, Schwestern und Pflegekräfte gehört das zum Berufsethos dazu – Patient*innen sind in gewisser Hinsicht Familienangehörige, denen Liebe und Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Dieses Verständnis trägt unser medizinisches Personal auch bei seinen internationalen Einsätzen in die Welt hinaus“, meint Dr. Ramírez nachdenklich. Manch einer von uns denkt dabei an die internationale Initiative, als die kubanische Ärztebrigade "Henry Reeve" für den Friedensnobelpreis 2021 vorgeschlagen wurde. Sie hätte ihn sehr wohl verdient!

Wieder einmal merken wir den großen Unterschied der gesellschaftlichen Systeme. Die Zahlen offenbaren in beschämender Weise, worin in einem marktwirtschaftlichen Regeln unterworfenem Gesundheitswesen wie in Deutschland der Unterschied zum kubanischen System liegt – der Profit steht über dem Wohl der Patient*innen.

Der Gedanke begleitet uns auf unserem Rundgang durch das Krankenhaus. Hier, am östlichsten Ende des Landes, so dicht an der durch die USA besetzten Bucht von Guantánamo, ist die Region einem latenten Sicherheitsrisiko ausgesetzt. Verständlich, dass die Provinz in Sachen Industrialisierung schwach entwickelt ist. Die Lebensbedingungen der Menschen sind bescheiden, ebenso wie die Ausstattung im Krankenhaus bereits seit vielen Jahren ihren Dienst tut.

Wir werfen einen Blick in das Behandlungszimmer, in dem eines der gespendeten Ultraschallgeräte gerade an einem Patienten eingesetzt wird, dem wir gute Besserung wünschen. „Die von Cuba sí gespendete Ausrüstung hat den technischen Standard deutlich erhöht. Die höhenverstellbaren Klinikbetten nutzen wir zusammen mit den gespendeten dickeren Matratzen vor allem in der Station für Infarkt- und Schlaganfallpatient*innen, die liegen sollen. Und die Rollstühle und Rollatoren erleichtern uns den Transport und die Verlegung von Patient*innen enorm“, ist Dr. Martínez dankbar.

Dies wird nicht die einzige Unterstützung von Cuba sí für das Provinzkrankenhaus „Agostinho Neto“ bleiben. Da unsere Projektphilosophie die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen für die Menschen vor Ort einschließt, unterstützt Cuba sí im Rahmen der Landwirtschaftsprojekte auch das Gesundheitswesen in der jeweiligen Provinz. Ab dem kommenden Jahr 2023 werden wir gemeinsam mit unserer Partnerorganisation ACPA ein weiteres langfristiges Projekt in Guantánamo entwickeln.

Ehrensache, dass auch das „Agostinho Neto“ mit medizinischer Ausrüstung berücksichtigt werden wird. Wir freuen uns, wenn Sie, liebe Spenderinnen und Spender, uns dabei unterstützen möchten. Hier, bei den engagierten Ärzt*innen, Schwestern und Pflegern, sind Ihre Spenden an der richtigen Adresse.

Willkommen sind neben Sachspenden auch Kontakte zur Beschaffung von Geräten und Ausrüstung beispielsweise aus Praxisauflösungen oder durch den Tausch von Technik und Ausstattung in Krankenhäusern. Nehmen Sie gern mit uns Kontakt auf unter berlin@cuba-si.org .

Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker!

 

Miriam Näther

Veröffentlicht in Gegen die Blockade | Tags: Gesundheitswesen, medizinische Sachspenden, Pandemie, Solidarität