03.11.2015 Druckversion

Willkommen Evo!

Der Präsident des plurinationalen Staates Bolivien, Evo Morales, besucht die Bundesrepublik Deutschland und spricht am Mittwoch, dem 4. November 2015, an der TU Berlin. Schon bei seiner Amtseinführung im Januar 2015 in Tiwanaku richtete er seine Worte auch an die reichen Länder: „Es gibt nur eine einzige Welt, und wir alle sind gemeinsam verantwortlich für sie.“ Hier Auszüge aus dieser Rede:
Evo Morales
Evo Morales

„Pacha“ bedeutet Gleichgewicht, Ausgewogenheit, „kuti“ bedeutet Rückkehr, Umkehr, also bedeutet „Pachakuti“ Rückkehr zur Ausgewogenheit, Rückkehr zur Gleichheit, zur Ebenbürtigkeit mittels einer Politik der Komplementarität und Solidarität für diesen Veränderungsprozess, die Rückkehr zur Ausgewogenheit ...

Wir müssen unsere kulturell-demokratische Revolution festigen, unsere Revolution im Gesundheitswesen, in der Produktion, im Justizwesen, bei der Arbeit und im Denken. Wir müssen die gesamte nationale Messlatte verändern, auch die internationale und interkontinentale, das alles bedeutet Pachakuti, Zeitenwende. Und das alles auf der Grundlage solch fundamentaler Prinzipien wie unserer Identität, unserer Formen der Erfahrungen mit der Solidarität und Komplementarität, bei der Konsensfindung und bei der Ausgewogenheit, die die Grundlage unserer Weltsicht der eingeborenen Völker des Kontinents und der Welt darstellen. ...

Wir haben mehr als 500 Jahre lang Dunkelheit, Hass, Rassismus, Diskriminierung und Individualismus ertragen, seit der Ankunft dieser sonderbaren Menschen, die uns sagten, dass man moderner werden muss, zivilisiert sein muss und uns zu diesem Zwecke ihre Philosophie des Todes lehrten.

Aber um moderner zu werden, um zivilisiert zu sein, musste man erst die eingeborenen Völker in der Welt verschwinden lassen, unsere Sprache verschwinden lassen, unsere Kultur, unsere Wurzeln, unser Kokablatt, unsere natürlichen Produkte wie Quinoa, unser Vieh, unsere Symbole, unsere Musik, unsere Kleidung, sie wollten unsere Identität beseitigen. Seht, liebe Schwestern und Brüder, diese Philosophie des Todes gebar die Sklaverei, den Feudalismus, den Kapitalismus und den Imperialismus. Damit der Kapitalismus und Imperialismus existieren konnten, musste man die indigenen Völker der Welt verschwinden lassen. So versuchte man, die Indianer in Nordamerika, die Apachen, die Cheyenne, die Mohikaner, die Navajo, Dakota, Jopi, Lacota, Yaqui, Ioma, Cherokesen, Comanche, Iowa und andere nordamerikanische indigene Brüder verschwinden zu lassen. ...

Aber trotz all dieser Leiden, all dieser Massaker haben wir uns nie ergeben, niemals haben wir uns als besiegt erklärt. Wir wussten um unseren Sieg, dass unser Sieg kommen würde, dass Pachakuti, die Zeitenwende, zurückkehren würde, dass wir wieder erneut Kapac, Camiri sein würden, also Menschen, die in Würde leben, und Iyambae, Menschen, die keinen Herrn über sich haben.

Deshalb haben wir ständig vereint gekämpft. Und heute sind wir dank dieses Kampfes eine Realität geworden, wir sind millionenfach wiedergekehrt. Sie konnten uns nicht verschwinden lassen. Liebe Schwestern und Brüder, hier stehen wir, um uns selbst zu regieren, unsere Mutter Erde Pachamama zu achten, die gemeinschaftliche Energie zu erwecken. ...

Deshalb sprechen wir davon, dass unsere Quellen für die Festigung des plurinationalen Staates, für das Leben in Würde (Vivir bien) hier liegen; von hier aus projizieren wir uns in das 21. Jahrhundert als eine der entkolonialisierten Nationen in der Welt, wo das Konzept des Lebens in Würde unsere Philosophie sein soll.

Für die Erreichung dieses Ziels sind uns der Liberalismus und der europäische Sozialismus nicht hilfreich. Sie gehören der Vergangenheit an, zusammen mit der liberalen und kolonisierenden Republik Bolivien; kurz gesagt, unsere Vorfahren hier in Tiwanaku kannten keine Armut, die Armut ist das Produkt der Kolonialisierung und der uns von den kapitalistischen Ländern auferlegten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungsmodelle.

Deshalb projizieren wir von hier aus unsere Zukunft des Sumaj Qamaña, des Allin Kawsay, des Vivir bien, des Lebens in Würde, des Wissens darum, wie man sich ernährt, wie man arbeitet, wie man feiert, wie man regiert.

Euch Schwestern und Brüder, aber insbesondere die internationalen geladenen Gäste möchte ich fragen: "Was sagte man uns früher?" "Die Indios, die Eingeborenen sind nur fürs Wählen da, aber nicht fürs Regieren", und in der jetzigen Zeit haben wir Indigene, wir Gewerkschafter gezeigt, dass wir wohl zu regieren wissen, sogar besser als jene. ...

Wenn wir von der Wiedergewinnung und Stärkung unserer Kultur sprechen, unserer Identität als Bedingung für die Errichtung des plurinationalen Staates, glauben viele Leute, dass wir vorhaben, in die Vergangenheit zurückzukehren. Nein, wir haben nicht vor, in die Vergangenheit zurückzukehren, und es handelt sich auch nicht um eine romantische Rückkehr in die Vergangenheit, sondern es handelt sich vielmehr um eine wissenschaftliche Wiedergewinnung des Besten aus unserer Vergangenheit, um es mit der Modernität zu kombinieren, aber nicht mit irgendeiner Modernität, sondern mit einer Modernität, die es uns gestattet, Industrien zu errichten, ohne unserer Mutter Erde Schaden zuzufügen, mit einer Modernität, die es uns gestattet, eine Entwicklung im Gleichklang mit unserer Mutter Erde Pachamama zu betreiben. ...

Wir steuern auf die Zerstörung unseres Planeten zu. Dieser verrückte Wettlauf der Zerstörung unseres Planeten im Namen der Entwicklung muss gestoppt werden. Wenn wir indigenen Völker so lebten wie die Menschen in den Ländern Europas, wo der Familienvater sein Auto hat, wo die Mutter ihr Auto hat, der Sohn sein Auto hat und die Tochter ihr Auto hat, alle mit einem Auto leben, wenn wir so lebten, dann, besagen die Studien, bräuchten wir eine weitere Erde, allein um die Autos parken zu können.

Liebe Schwestern und Brüder, es gibt weder eine Erste Welt noch eine Zweite Welt, auch keine Dritte Welt oder Vierte Welt, es gibt nur eine einzige Welt, und wir alle sind gemeinsam verantwortlich für diese eine einzige Erde. 

Veröffentlicht in Rund um Kuba | Tags: Bolivien, Menschenrechte, Solidarität