In Übereinstimmung mit Kubas Zielen der Ernährungssicherheit
Seit 1993 unterstützt Cuba sí Projekte in der kubanischen Landwirtschaft, um die produktive Basis in unseren Partnerbetrieben zu stärken und mehr Lebensmittel durch eine wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltige Produktionsweise zu erzeugen. Neben der Diversifizierung der landwirtschaftlichen Produktion stehen der Einsatz erneuerbarer Energien, Weiterbildungen der Mitarbeiter*innen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Mittelpunkt. Um der auch in Kuba zu verzeichnenden Landflucht zu begegnen, beinhalten unsere Projekte ebenso Investitionen in Kulturhäuser, Bildungszentren und Wohnverhältnisse.
Mit der Besichtigung unseres Projektes im Zuchtbetrieb Valle del Perú im Kreis San José de las Lajas schloss sich auf unserer Jubiläumsreise zudem ein Kreis. Im Betriebsteil Vaquería (Kuhstall) 40 hatte 1993 die Projektarbeit von Cuba sí in der kubanischen Landwirtschaft begonnen. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers erlebte Kubas Viehzucht einen verheerenden Niedergang durch fehlendes Kraftfutter, fehlenden Treibstoff zum Betrieb der klimatisierten Ställe und fehlende Ersatzteile zur Reparatur und Wartung bestehender Anlagen.
In solidarischer Zusammenarbeit zwischen kubanischen Experten und Wissenschaftlern für tropische Landwirtschaft der Humboldt-Universität Berlin wurde ein Pilotprojekt für eine weidebasierte Viehzucht entwickelt: Die Rinder sollten vorrangig mit den in Kuba verfügbaren Weidegräsern versorgt werden, um die fehlende Einfuhr von Kraftfutter zu kompensieren und die Milchproduktion zu stabilisieren. Diese ersten Studien wurden in besagter Vaquería 40 durchgeführt, und seither ist die Kubanische Vereinigung für Tierproduktion (ACPA) unser Partner in Sachen Milchprojekte.
Bei unserem Besuch im Projekt Mayabeque informierten wir uns bei unseren Projektpartnern über die erzielten Ergebnisse und warfen einen Blick in die Zukunft künftiger Projekte. Ab 2023 wird Cuba sí zwei langfristige Projekte u.a. in Mayabeque fördern. Und so erwarteten wir die Besichtigung mit großer Spannung – wie uns auch die compañeros vor Ort mit großer Wiedersehensfreude.
Nelson González, Präsident der ACPA-Filiale in Mayabeque, erläuterte uns die bisher erzielten Ergebnisse in den unterstützten Betriebsteilen des Zuchtbetriebs „Valle del Perú“: „Eure Projektmittel haben zu einer verbesserten Infrastruktur beigetragen; wir konnten benötigte Ausrüstung wie z.B. Kettensägen anschaffen. Diese sind eine wertvolle Hilfe, um mit der unerwünschten Wucherpflanze Marabú aufzuräumen. Nicht nur, dass wir die bereinigten Felder der landwirtschaftlichen Nutzung zurückgeben, sondern wir gewinnen aus dem Marabú-Holz auch Holzkohle mit hohem Brennwert und haben damit eine zusätzliche Einnahmequelle generiert.“
Gemeinsam erinnerten wir uns auch an größere Spendenkampagnen, wie jene zur Beschaffung eines Bulldozers zur Bekämpfung eben jenes Marabús, das in Kuba nach wie vor große landwirtschaftliche Nutzflächen befallen hat. Der Bulldozer ist nach wie vor im Einsatz – ebenso wie der leuchtend rote Traktor für den Betrieb Rosafé.
Auch die von Cuba sí gespendeten Fahrräder leisten gute Dienste. Sie wurden vor allem an die Technische Kontrolle, an die Tierärzt*innen und Produktionsmitarbeiter*innen übergeben. Das gespendete Büromobiliar, Computerarbeitsplätze und Büroausstattung erleichtern die tägliche Verwaltungsarbeit ebenfalls enorm.
Auch die wissenschaftlich-fachliche Komponente des Projekts ist in den Jahren der Umsetzung sehr gut zum Tragen gekommen: „Regelmäßig findet ein Erfahrungsaustausch der Produzent*innen untereinander statt; wir treffen uns zudem mit den Wissenschaftlern der benachbarten Forschungseinrichtungen wie z.B. dem Institut für Tierwissenschaften zu Analysen im Feld und gewährleisten den Wissenstransfer durch Workshops und Weiterbildung. Ein großes Augenmerk richten wir auch darauf, Frauen zu ermutigen, sich stärker in den Prozess der Erzeugung von Lebensmitteln einzubringen“, berichtete uns Nelson González.
Während der Laufzeit des Projekts sind Futteranbauflächen mit besonders proteinreichen Futtergräsern wie Moringa, Morera und Titonia angelegt worden. Damit lässt sich die Einfuhr von Kraftfutter reduzieren und aus eigenen Ressourcen eine tragfähige Zucht entwickeln.
Dennoch sind die Produktionsergebnisse in den letzten beiden Jahren zurückgefallen: Einmal mehr begegneten uns hier die Auswirkungen der US-Blockade auf die kubanische Landwirtschaft und Viehzucht. „Für Kuba ist es durch die weiteren Sanktionierungen zunehmend schwieriger, benötigte Betriebsmittel, Dünger, Kraftfutter und Ausrüstung einzuführen. Zusätzlich hat die Pandemie mit ihren Verwerfungen auf dem Weltmarkt zu extrem gestiegenen Preisen für Einkauf und Transport geführt. Wir müssen Monate auf die Auslieferung eingekaufter Ausrüstung warten, bis ein Schiff einen kubanischen Hafen anläuft. Ausgewirkt hat sich das auf Milchleistung und Mastkapazitäten in unserem Betrieb: Kühe sind Lebewesen, die auf die Veränderung ihrer Umwelteinflüsse reagieren. So führen die nicht mehr kontinuierlich gewährleistete Fütterung im erforderlichen Mischverhältnis oder fehlende Medikamente zur Behandlung z.B. von Parasitenbefall zu einem Abfall der Milchleistung, von 1.500 Litern im Jahr auf 900 Liter bei unseren besten Kühen“, erläuterte der ACPA-Chef in Mayabeque weiter.
Auch in der durch Cuba sí gespendeten Metzgerei wurden die Auswirkungen der US-Blockade sichtbar. Sie bleibt derzeit hinter ihren Kapazitäten zurück, weil nicht genügend Schlachttiere zur Verfügung stehen. Das wirkt sich natürlich auch auf das Angebot an Fleisch und Wurstwaren für die Bevölkerung aus.
Um trotz dieser Rückschläge eine Kontinuität in unserem Projekt zu schaffen, ist vorgesehen, den Zuchtbetrieb Valle del Perú in einem künftigen Projekt weiterhin zu unterstützen – zusammen mit zwei weiteren Betrieben in den benachbarten Landkreisen Güines und Madruga. Nelson González stellte uns die Projektideen unter dem Arbeitstitel „Unterstützung der Produktionsprozesse in drei Zuchtbetrieben der Provinz Mayabeque“ vor.
Konkret geht es um die kontinuierliche Verbesserung der Zuchtmethoden, um die Milchproduktion zu steigern und die Zucht an die Umweltbedingungen anzupassen. Schwerpunkte bilden hierbei die Genetik, der Einsatz erneuerbarer Energien, Produktionsverfahren, die Schaffung einer tragfähigen Futtergrundlage, eine dauerhafte nachhaltige Technik sowie die Gewinnung junger Fachkräfte, speziell von Frauen. Neben Valle del Perú sind dafür der auf Büffelzucht spezialisierte Betrieb „El Cangre“ und der Zuchtbetrieb „Del Este“ ausgewählt.
Der Ansatz des Projekts ist neu und spiegelt die aktuelle Politik der Staatsführung Kubas wider, vor allem jene sozialistischen staatlichen Betriebe zu fördern, die Effizienz und Produktivität beweisen: So werden die drei Betriebe miteinander wetteifern, die gesteckten Ziele zu erreichen. Bleiben die Ergebnisse in einem bestimmten Maße hinter den Zielen zurück, gehen die im Projekt bereitgestellten Ressourcen auf die anderen Betriebe über. Unsere Projekte werden sich also auch künftig wie bisher an den Bedarfen des Landes im Einklang mit seiner Politik orientieren.
Beim Rundgang durch den Betrieb „El Cangre“ wurde uns deutlich, dass die Motivation für dieses Projekt groß ist: „Unser Ziel ist es, wirtschaftlich noch unabhängiger zu werden. Der Staat kann uns nicht alle benötigten Ressourcen bereitstellen, also liegt es an uns, uns selbst darum zu kümmern“, verdeutlichte uns die stellvertretende Leiterin des Betriebs das neue Denken. Sie selbst ist eine junge Frau, die vor kurzem ihr Studium abgeschlossen hat und nun bereits große Verantwortung trägt für einen Betrieb mit vielseitigen Produktionszweigen. Die in „El Cangre“ produzierte Büffelmilch wird vor allem für die regionale Versorgung der Kinder bis sieben Jahre eingesetzt. Für die Fleischerzeugung sorgt eine Büffelmast mit angegliederter Schlachterei. Aktuell schlachten die 17 Mitarbeiter*innen acht bis zehn Tiere täglich, die Kapazitäten sollen mit entsprechender Ausrüstung ausgeweitet werden. Eine Käserei befindet sich derzeit im Aufbau. Auf den Selbstversorgerflächen werden Obst und Gemüse sowie Kleintiere wie Kaninchen und Schafe gehalten. All dies sichert die Versorgung der Beschäftigten in der Kantine.
Der Betrieb „Genética del Este“ wurde einst durch den Comandante en Jefe, Fidel Castro, gegründet. Hier befindet sich die kubanische Genreserve der Rinderrassen Holstein, Jersey und Brunswick. Wie in den anderen beiden Projektbetrieben sollen auch hier nachhaltige Technologien eingeführt werden, um als Pilotprojekte mit Multiplikatoreffekt auf umliegende Betriebe auszustrahlen. Der Fokus liegt dabei auf der Produktion und Verarbeitung sowie der Vermarktung von Kleintieren sowie auf der Futtererzeugung und Schlachtung. Mit den Einnahmen können dann Investitionen in die weitere Entwicklung des Betriebs getätigt werden.
An die wissenschaftliche Zusammenarbeit und die Verzahnung von Theorie und Praxis wird auch im neuen Projekt angeknüpft. Mayabeque mit seinen Forschungszentren ist dafür bestens geeignet. Eine enge Zusammenarbeit zwischen ACPA, den Projektbetrieben und dem Institut für Tierwissenschaft ICA (Projektteil Büffelzucht), dem Nationalen Zentrum für Tiergesundheit Censa (Projektteil Viehzucht und Milchproduktion) und dem Fachbereich Sozialwissenschaften der ONAC (Agrarfakultät der Universität Havanna) für den Projektteil „Einbeziehen weiblicher Produktivkräfte in den Produktionsprozess“ wird angestrebt.
Nelson González nimmt die Pilotfunktion der Projekte sehr ernst: „Wir werden durch die statistische Dokumentation und Auswertung der Ergebnisse Rückschlüsse ziehen, Variablen erörtern und auf Abweichungen im Plan reagieren. Damit schaffen wir eine Plattform für den wissenschaftlichen Austausch und wollen beweisen, dass in der tropischen Landwirtschaft nachhaltig produziert und Lösungen für die Ernährungssicherheit gefunden werden können. Das schafft Kontinuität, die wir bei der Lebensmittelproduktion so dringend brauchen.“
Am Ende unseres Rundgangs waren wir uns einig: Der Ausblick auf das neue ACPA-Cuba sí-Projekt ist nicht nur vielversprechend, sondern wissenschaftlich fundiert, folgt unseren Erwartungen an eine wirtschaftliche, ökologische und soziale Nachhaltigkeit und ist im Einklang mit den Bedürfnissen des Landes. Am Aussichtspunkt auf das herrliche Picadura-Tal stießen wir mit unseren kubanischen Partnern auf das Gelingen des neuen Projekts an.
Wir freuen uns, dass Cuba sí ein weiteres Projekt von nationaler Referenz für Kuba begleiten wird. Unterstützen Sie uns dabei mit Ihrer Spende!
Miriam Näther
Link zur Berichterstattung des kubanischen Fernsehens der Provinz Mayabeque zum Erhalt der Sachspenden von Cuba sí.
PS: Anlässlich des 30. Jubiläums der Gründung von Cuba sí weilt vom 28. April bis 15. Mai eine Delegation langjähriger Aktivist*innen und Mitstreiter*innen in Kuba. Bei Gesprächen und Begegnungen mit unseren Partnern und in verschiedenen Einrichtungen werden wir uns über die aktuelle Situation informieren, Kubas Vorhaben im Rahmen der „tarea ordenamiento“ kennenlernen und unsere Landwirtschaftsprojekte besuchen. So werden wir unsere politische und materielle Solidarität noch zielgerichteter an den derzeitigen Anforderungen ausrichten.