17.03.2015 Druckversion

Gegen Doppelmoral und für die gerechte Sache der Völker

Rede des kubanischen Außenministers Bruno Rodríguez vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf
Der kubanische Außenminister Bruno Rodríguez fand deutliche Worte gegen Doppelmoral, Scheinheiligkeit und Missbrauch der UNO-Institutionen durch die Industrienationen. Foto: A. Ernesto EPA
Der kubanische Außenminister Bruno Rodríguez fand deutliche Worte gegen Doppelmoral, Scheinheiligkeit und Missbrauch der UNO-Institutionen durch die Industrienationen. Foto: A. Ernesto EPA

Bruno Rodríguez Parrilla, Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas und Minister für Auswärtige Beziehungen, sprach am 2. März 2015 auf der 28. Sitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen in Genf, Schweiz.

Sehr geehrter Herr Präsident!

In diesem Saal soll den 842 Millionen Menschen auf der Welt, die Hunger leiden, eine Stimme gegeben werden. Ebenso den 774 Millionen erwachsenen Analphabeten und den 6 Millionen Kindern, die im Ergebnis einer ausgrenzenden, ungerechten und ungleichen Weltordnung jedes Jahr durch vermeidbare Krankheiten sterben, weil die Länder des Nordens ihren Menschenrechten und grundlegenden Freiheiten keine Beachtung schenken.

Auch den Bürgern, die in den Armutsvierteln der Industrieländer leben; den Arbeitern und Studenten, die Opfer der Sparprogramme sind; denen, die ihre Wohnung verloren haben; den Einwanderern, die unter Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit leiden; denen, die Unterdrückung und Polizeigewalt ausgesetzt sind, den Kindern und Jugendlichen, die nichts zu essen haben und sich weder eine medizinische Versorgung noch Bildung leisten können.

Debatte über Legitimation politischer Systeme und Parteien gefordert

Diese Fakten erfordern eine ernsthafte Debatte über den größer werdenden Verlust der Legitimation politischer Systeme und Parteien, ebenso über den Zusammenbruch der Wahlsysteme, die abhängig sind vom Geld und von der Manipulation der Massenmedien, was viele Menschen veranlasst, nicht an Wahlen teilzunehmen. Auch über die zunehmende Korrumpiertheit der Politik in einigen entwickelten Ländern muss gesprochen werden.

Für eine echte Beteiligung der Zivilgesellschaft

In unserer Gesellschaft beteiligen sich mehr als 2000 Organisationen und Verbände verschiedenster Art aktiv am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Da mir nicht ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um über das Wesen der Zivilgesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat zu sprechen, das heutzutage stark manipuliert wird, um die politischen Eliten einzubinden, muss ich mich auf das konzentrieren, was unserer Meinung nach wesentlich ist: die Beteiligung des Volkes am Entscheidungsprozess der Regierungen in der Weise, wie sie Lincoln beschrieben hat. Und genau das ist die Erfahrung der kubanischen Revolution.

Die Volksbefragung gehört zu unserer politischen Tradition und war ein entscheidender Moment in der Abstimmung über die heute geltende Verfassung, die mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde. 2011 hat unser Volk das laufende Wirtschafts- und Sozialprogramm nach einer großangelegten Diskussionsphase angenommen. Dazu gab es 400.000 Vorschläge zur Änderung des Programmentwurfs, von dem zwei Drittel Eingang in das Dokument fanden. Das neue Arbeitsgesetzbuch wurde kürzlich in ähnlicher Weise diskutiert.

Geschwächte Gewerkschaften

Mit tiefer Besorgnis sehen wir, dass der Anteil der in Gewerkschaften organisierten Werktätigen in einigen wichtigsten westlichen Wirtschaftsnationen sehr niedrig ist und nur zwischen 8 und 12% liegt. Nicht alle Länder haben das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes oder das Übereinkommen Nr. 98 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und das Recht zu Kollektivverhandlungen ratifiziert.

Bekanntlich erlauben die Arbeitsrechtsgesetze und die Rechtsprechung in diesen Ländern die Entlassung von Arbeitern, die ihr gesetzliches Streikrecht ausüben. Die Gesetze dieser Staaten schränken das Streikrecht für breite Gruppen von Werktätigen erheblich ein. An Privatuniversitäten werden das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen eingeschränkt. Es gibt Länder, in denen Gesetze die Aushandlung von Kollektivverträgen im öffentlichen Sektor mit Arbeitnehmervereinigungen im Bereich der am schlechtesten entlohnten Arbeiter verbieten. Einige Entscheidungen von Gerichten verletzen das Recht auf Vereinigungsfreiheit. Arbeitern ohne gültige Papiere wird der Zugang zu einer Kündigungs­schutzklage verwehrt.

In unserem Land sind praktisch alle Werktätigen in Gewerkschaften organisiert und durch Kollektivverträge geschützt, auch die Angestellten von kleinen Privatunternehmern. Es gibt Gewerkschaftsvertreter im Ministerrat und in den Ministerialorganen. 1938 schuf die kubanische Arbeiterbewegung einen einheitlichen Dachverband der Arbeiter, in der heute 17 Gewerkschaften und Tausende Basisorganisationen vereinigt sind.

Ich möchte dem Menschenrechtsrat vorschlagen, die Debatten über diese Themen zu führen und die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich zu vertiefen.

Kritik der Zivilgesellschaft an den Instrumenten der Mächtigen zulassen

Wir hoffen, dass die zukünftigen G-7-Gipfel, die Konferenzen der Nato, der Europäischen Union, der OSZE, des IWF, der Weltbank, der Europäischen Zentralbank und besonders der Klimagipfel in Paris der Zivilgesellschaft eine breite Beteiligung ermöglichen und sie ihre Beiträge einbringen kann, dass dabei das Versammlungsrecht garantiert wird und weder Zäune aufgestellt noch Polizeigewalt angewandt wird, wie es in der Vergangenheit oft der Fall war. Es wäre wünschenswert, dass Bürgerbewegungen wie "Occupy Wall Street" oder die Bewegung der "Empörten“ (Indignados) auch ihre gerechtfertigte Anwesenheit auf diesen Foren zeigen dürften.

Kritik an der Dominanz internationaler Medienkonzerne

Die Republik Kuba ist auch tief besorgt und bereit zur Diskussion und Zusammenarbeit im Bereich der Demokratisierung der Information und des Internets. Es ist alarmierend, dass 7 gigantische private Medienkonzerne 65% der auf der Erde kursierenden Informationen kontrollieren. Die Länder des Südens sind an der Generierung von Inhalten praktisch nicht beteiligt. Die Diskussionen über die Herrschaft im Internet haben nicht zu dessen Demokratisierung geführt. Deshalb müssen im Bereich der Information, der Telekommunikation und der Informatik eindeutige zwingende Maßnahmen beschlossen werden.

Schüren bewaffneter Konflikte durch Cyberwar

Effektive Maßnahmen müssen dringend ergriffen werden, um die Militarisierung des Internets und die Durchführung von Hacker-Angriffen mit Hilfe des Internets durch die illegale und verschleierte Nutzung des Systems eines Drittlandes zu verhindern. Angriffen via Internet kann nicht mit konventionellen Waffen begegnet werden, denn das würde den Frieden und die Sicherheit in der Welt gefährden.

Die Veränderungen der nationalen Sicherheits- und Verteidigungsdoktrinen in einigen Staaten und in der NATO, die nicht-konventionelle Kriege oder Kriege der sog. "vierten Generation" betonen,  und die in den jüngsten Konflikten vom Mittleren Osten bis Europa in die Praxis umgesetzt wurden, haben zur Zerstörung von Staaten und Nationen geführt und sind eine schwerwiegende Bedrohung für den regionalen und internationalen Frieden und die Sicherheit. Sie schwächen die Anstrengungen im Kampf gegen den Terrorismus in allen seinen Formen und Ausprägungen.

Den Missbrauch der UN-Gremien für politische Ziele beenden

Die Tendenz, den UN-Menschenrechtsrat für politische und militärische Zwecke zu missbrauchen, indem man Konflikte des Sicherheitsrats auf die Tagesordnung setzt und Prozesse vor dem Internationalen Gerichtshof anstrengt, ist sehr gefährlich.

Herr Präsident!

Wir unterstützen das unveräußerliche Recht des palästinensischen Volkes auf seinen eigenen Staat in den Grenzen von 1967 mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen sollte entschlossen handeln und Palästina unverzüglich als Vollmitglied aufnehmen. Endlich aufhören müssen die Lieferung von Waffen und das Einlegen des Vetos im Sicherheitsrat, das dafür sorgt, dass die Verbrechen, die insbesondere im Gaza-Streifen begangen werden, ungesühnt bleiben.

Wir bekräftigen, dass wir die inakzeptablen und ungerechtfertigten einseitigen Sanktionen, die gegen die Bolivarische Republik Venezuela gerichtet sind, auf das Schärfste verurteilen und darin eine fortgesetzte Einmischung sehen, die die Schaffung eines Klimas der Instabilität in diesem Bruderland bezweckt. Wir versichern, dass wir fest an der Seite der Bolivarischen Revolution und der rechtmäßigen Regierung des Präsidenten Nicolás Maduro Moros stehen.

Für umfassende, unteilbare Menschenrechte - für alle Menschen

Herr Präsident!

Kuba fühlt sich jetzt und künftig dem Gedanken einer echten internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Menschenrechte verpflichtet. Die Menschenrechte sind für uns unteilbar, nicht politisch motiviert und gelten für alle Menschen. Wir werden auch weiterhin für eine gerechtere und demokratischere Weltordnung kämpfen, die alle Hindernisse aus dem Weg räumt, die die nationalen Anstrengungen zur Verwirklichung der Menschenrechte behindern.

Wir arbeiten mit den Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Menschenrechte im Hinblick auf die Verfahren und Methoden sowie der universellen Anwendung eng zusammen und beteiligen uns an dem positiven Dialog mit den Organen, die aufgrund internationaler Verträge geschaffen wurden. Deshalb laden wir den Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes und die Sonderbeauftragte für Menschenhandel in unser Land ein.

Gespräche zur Aufnahme bilateraler Beziehungen mit der EU und den USA

Wir haben auch vereinbart, den bilateralen politischen Dialog mit der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf höchster Ebene wieder aufzunehmen. Wir fühlen uns bei den Verhandlungen über einen Vertrag über die Zusammenarbeit zwischen der EU und Kuba auf den gegenseitig vereinbarten Grundlagen den Prinzipien der souveränen Gleichheit, des gegenseitigen Respekts, der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und der Achtung vor der Rechtsordnung der beteiligten Partner verpflichtet.

Obwohl es zwischen unserer Regierung und der Regierung der USA tiefgreifende Differenzen im Bereich der politischen Systeme, der Demokratie, der Menschenrechte und des internationalen Rechts gibt, ist es unser unabänderlicher Wille, normalisierte Beziehungen zwischen unseren Ländern zu entwickeln. Deshalb haben wir vergangenes Jahr im Juli vorgeschlagen, einen bilateralen Dialog in gegenseitigem Respekt und zu gleichwertigen Bedingungen aufzunehmen. Das State Department hat unser Angebot vor kurzem angenommen und in den nächsten Wochen werden die Gespräche beginnen. Die kubanische Seite wird konstruktiv entsprechend ihrer Überzeugungen zur internationalen Zusammenarbeit beitragen und respektvoll und transparent ihre ernste Besorgnis über die Situation der Wahrung der Menschenrechte in den USA ausdrücken.

Nieder mit der US-Blockade gegen Kuba

Kuba ist der Meinung, dass die Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade, die die USA Kuba aufzwingt, eine ständige, massive und systematische Verletzung der Menschenrechte aller Kubaner ist.

So lange diese Blockade besteht, wird Kuba in diesem Rat und in der Vollversammlung der Vereinten Nationen dagegen kämpfen. Wir danken den hier anwesenden Nationen für ihre fortwährende Unterstützung und bitten sie, auch weiterhin in den Sitzungen im kommenden Herbst ihre Stimme und ihre Wortbeiträge für uns zu erheben. Die kubanische Regierung wertschätzt, dass Präsident Barack Obama anerkannt hat, dass die Blockade dem kubanischen Volk Schaden zufügt, und er seine Bereitschaft geäußert hat, im Kongress seines Landes eine Debatte für die Aufhebung der Blockade gegen Kuba anzuregen.

Ich bedanke mich für die wichtigen und notwendigen Sondererklärungen, die auf den Gipfeltreffen der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten CELAC und der Afrikanischen Union Ende Januar 2015 verabschiedet wurden und in denen auf die Aufhebung der Blockade gegen Kuba gedrängt und der Präsident der USA aufgefordert wurde, seine weitreichenden exekutiven Befugnisse zu nutzen, um für die Aufhebung der Blockade einzutreten.

Herr Präsident!

Die Allgemeine Regelmäßige Überprüfung hat sich als wichtiges Instrument in der internationalen Zusammenarbeit erwiesen. Wir dürfen die Rückkehr zu den Praktiken der politischen Verfolgung gegenüber den Ländern des Südens nicht zulassen, weil dadurch deren souveräne Rechte mit Füßen getreten würden. Andererseits würden sonst Verbrechen und Folter, wie sie in Abu Graib und der Marinebasis Guantánamo, die die USA widerrechtlich besetzt halten, begangen wurden, ungesühnt bleiben. Dies hatte die alte Kommission für Menschenrechte in Misskredit gebracht und zu ihrer Zerrüttung geführt.

Gesundheit und Bildung - ein Menschenrecht auch für Arme

Herr Präsident!

Trotz der Schwierigkeiten und Probleme, die Kuba selbst hat, teilen wir unsere Errungenschaften und Erfahrungen mit anderen Nationen und tragen dadurch selbstlos zur Wahrung der Menschenrechte anderer Völker der Welt bei. In diesem Sinne wurden im Rahmen des Kooperationsprojekts, das unter dem Namen “Operación Milagro” ("Operation Wunder") bekannt ist, kostenlose Augenoperationen bei 3,4 Millionen Menschen in 34 Ländern durchgeführt. Im Rahmen des Alphabetisierungprogramms “Yo sí puedo” ("Ja, ich kann") haben 9 Millionen Menschen lesen und schreiben gelernt und 1,113 Millionen Menschen haben sich im Programm “Yo sí puedo seguir” ("Ja, ich kann noch mehr") weitergebildet. Heute leisten mehr als 51.000 Mitarbeiter des kubanischen Gesundheitswesens ihren Dienst in 67 Ländern der Welt.

Wir setzen unsere Hilfe im Kampf gegen das Ebola-Virus in Afrika fort. Mehr als 250 freiwillige Spezialisten des kubanischen Gesundheitswesens, die zur Medizinischen Brigade “Henry Reeve” gehören, arbeiten in den am meisten betroffenen Regionen. Weitere 4.000 Mitarbeiter des kubanischen Gesundheitswesens arbeiten im Vorsorgeprogramm, das in 32 afrikanischen Ländern durchgeführt wird.

Herr Präsident!

Die kubanische Revolution wird auch weiterhin mit der gewohnten Entschlossenheit und ohne Unterlass für die gerechte Sache eintreten, denn Vaterland bedeutet Menschlichkeit.

Im Jahr des 70. Jahrestages der Gründung der Vereinten Nationen haben die Prinzipien und Ziele, die in der Gründungscharta festgehalten sind, mehr Gültigkeit denn je.

Wie unser Präsident Raúl Castro Ruz kürzlich betonte, "werden wir nicht auf unsere Ideale der Unabhängigkeit und sozialen Gerechtigkeit verzichten oder auch nur von einem einzigen unserer Prinzipien abweichen und auch keinen einzigen Millimeter unserer nationalen Souveränität aufgeben. Wir werden keine Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten zulassen. Dieses souveräne Recht haben wir uns durch große Opfer und unter hohen Gefahren erkämpft."

Vielen Dank.

 

Die Originalrede ist nachzulesen auf der Seite der kubanischen Presseagentur AIN. Die deutsche Übersetzung besorgten G. Michaelis und die AG Cuba Sí.

Veröffentlicht in Standpunkt | Tags: Blockade, Demokratie, Gewerkschaft, Medien, Menschenrechte, Politik