20 Jahre Cuba Sí

Kuba – verloren im Ozean?

Die AG Cuba Sí feiert im Juli 2011 ihren 20. Geburtstag.

Zum 31. Dezember 1990 beendete das neue, vereinte Deutschland einseitig alle Abkommen der DDR mit dem sozialistischen Kuba. Sämtliche Warenlieferungen, Geldhilfen und entwicklungspolitischen Projekte wurden gestoppt, annuliert, nicht verlängert. Einer dieser Verträge – 1981 geschlossen – sollte bis zum Jahr 2001 Gültigkeit haben. Durch diesen Vertrag lieferte die DDR jährlich 24 000 Tonnen Milchpulver nach Kuba. Mit dem Ende des sozialistischen Lagers brachen für Kuba zum zweiten Mal innerhalb von 30 Jahren fast alle Außenhandelsbeziehungen weg – es begann die entbehrungsreiche „Spezialperiode“. Dieser Zeitpunkt markiert auch den Beginn einer unglaublichen Energieleistung Kubas, eines Volkes, das seine Unabhängigkeit nicht verlieren, die Errungenschaften seiner Revolution verteidigen und darüber hinaus auch Solidarität mit anderen Völkern demonstrieren und leben wollte.                                                                                   

Die Gründung von Cuba Sí 1991
In dieser Zeit, als in Deutschland nicht wenige auch den baldigen Zusammenbruch Kubas „voraussahen“, fanden sich in Berlin Kuba-Freunde unterschiedlichster Couleur zusammen und berieten, wie man der sozialistischen Insel helfen könnte. Sie teilten die tiefe Zuneigung zu Kuba sowie die Überzeugung, dass Kuba überleben muss – und überleben wird. Das war die Geburtsstunde von Cuba Sí – organisiert als Arbeitsgemeinschaft in der PDS. Die entscheidenden Fragen, die die Gründer bewegten:Was können wir hier von Deutschland aus tun, und welche Prioritäten müssen wir setzen? Zunächst ging es um eine politische Öffentlichkeitsarbeit für Kuba: die Forderung nach Einhaltung der einseitig gekündigten Verträge mit Kuba sowie die Verurteilung der Blockadepolitik der USA. Gleichzeitig starteten wir die Spendenkampagne „Milch für Kubas Kinder“, sie hatte sofort große Resonanz – vor allem bei der Bevölkerung der ehemaligen DDR. Mit den Spendengeldern kaufte Cuba Sí das in Kuba jetzt so dringend benötigte Milchpulver und organisierte die Lieferungen auf die Insel. Die ersten Partner von Cuba Sí waren die kubanische Pionierorganisation und das Institut für Völkerfreundschaft (ICAP).

Solidaritätscontainer
Aber nicht nur Geld wurde gespendet: Viele Sachspenden trugen vor allem unsere älteren Mitglieder – Microbrigade genannt – zusammen. Aus diesen Sammlungen von Sachspenden für Krankenhäuser, Familienarztstationen, Betriebe und Institutionen entwickelte sich unsere Kampagne „Kuba muss überleben“. Mehrere Solidaritätscontainer gehen jedes Jahr per Schiff auf die Reise nach Kuba. Für diese Kampagne startete Cuba Sí auch besondere Spendenaktionen. Einige Beispiele seien hier genannt: der Kauf von Bussen für Santiago de Cuba, von 3 Mähdreschern für die Soja-Ernte, die Beschaffung von Ersatzteilen für die Schuhfabrik „Camilo Cienfuegos“ in Havanna, der Kauf von Computertechnik für die Zeitschrift „Bohemia“, den Verlag „Editoria Politica“ und für die „Granma Internacional“. Anfang 2000 schickte Cuba Sí drei neue, komplett ausgestattete Krankenwagen nach Kuba. Sie waren für den Einsatz in den ländlichen Gebieten der Provinzen Havanna, Sancti Spíritus und Guantánamo bestimmt. Cuba Sí unterstützte auch mehrere Kulturprojekte in Kuba. Auch nach Naturkatastrophen leistete und leistet Cuba Sí immer wieder finanzielle und materielle Hilfe. Nach den schweren Wirbelstürmen des Jahres 2008 z.B. überwies Cuba Sí 340 000 Euro als Soforthilfe, dazu schickten wir per Schiffscontainer noch 15 Tonnen Baumaterial undWerkzeug imWert von 100 000 Euro. „Eure kleine Truppe leistet mehr Hilfe für Kuba als so manch reiche Regierung!“ meinte damals der Leiter unseres Projektes in Pinar del Río, José Trujillo. Nachhaltige Landwirtschaft Eine wichtige Etappe in der Cuba-Sí-Geschichte begann 1993. Mit Spenden Milchpulver zu kaufen, war wichtig, aber eine dauerhafte Verbesserung der Versorgungssituation und vor allem eine Überwindung der Abhängigkeit von Importen konnte so nicht erreicht werden. Gemeinsam mit verschiedenen kubanischen Institutionen und mit wissenschaftlicher Betreuung aus Deutschland startete Cuba Sí in jenem Jahr ein Pilotprojekt zur weideabhängigen Milchproduktion. Im Sinne einer nachhaltigen, regional angepassten Produktion sollte auf importierte Betriebsmittel weitestgehend verzichtet sowie die lokalen Futterressourcen genutzt werden. Die Technologie dieses ersten Projektes wurde
auf der Vaquería 40 in der Granja Mina Blanca des Betriebes Valle del Perú unweit Havannas erprobt und ab 1994 auf weitere Vaquerías der Granja ausgedehnt. Große Unterstützung erhielten wir bei der Realisierung des Projektes vom im Jahr 2000 leider viel zu früh verstorbenen Projektleiter Rogelio Garcia Vila. Ziele dieses ersten Projektes, das 7 Jahre lang unterstützt wurde, waren auch die Nutzung alternativer Energiequellen, die Entwicklung der sozialen Infrastruktur, der Bau vonWohnungen sowie die Sanierung von Schulen und Gesundheitseinrichtungen. So wurden mit Spendengeldern die Tamara-Bunke-Schule und die gleichnamige Poliklinik in der Region des Projektes saniert. Die Schule erhielt nach Abschluss des Projektes im Jahr 2001 zwei Biogasanlagen, um die Kochstellen in der Schule zu betreiben und so das Mittagessen für 530 Schüler und die Lehrer zuzubereiten. Seit diesem ersten Projekt ist die Kubanische Vereinigung für Tierproduktion (ACPA) unser treuer und verlässlicher Partner in Kuba. Drei Namen stehen für diese Zusammenarbeit ganz besonders: Elio Perón, Maria Elena Salar und Teresa Planas, die die Intensivierung unserer Beziehungen immer gefördert haben. Zum ersten großen Erfahrungsaustausch trafen sich 1995 Vertreter von ACPA und Cuba Sí,Wissenschaftler der Humboldt-Universität Berlin und der Freien Universität Berlin sowie Projektmitarbeiter zu einer nationalen Konferenz über die Projekttechnologie in Valle del Perú. Vier deutsche Studenten haben Diplomarbeiten zur Vaquería 40 geschrieben. Unsere Kampagne „Milch für Kubas Kinder“ erhielt mit diesem ersten Projekt eine neue Qualität. Bis heute hat Cuba Sí schon elf Projekte in der kubanischen Landwirtschaft abgeschlossen – sie werden jetzt von den Mitarbeitern dort in Eigenregie weitergeführt. Und einige Projekte davon haben in ihren Regionen ebenfalls Pilotfunktion. Unsere Projekte dauerten in der Regel drei Jahre und wurden mit je 300 000 CUC – ausschließlich Spendengelder – unterstützt (1 CUC entspricht ca. 0,80 Euro). Zurzeit unterstützt Cuba Sí vier Projekte: in der Provinz Havanna, in Pinar del Río, in Guantánamo und in Sancti Spíritus. Jährlich lädt Cuba Sí-Mitglieder von ACPA sowie Arbeiter von den Projekten zum Erfahrungsaustausch nach Deutschland ein. Als aktuelle Aufgaben sehen wir in Absprache mit ACPA und mit den Leitern der Projekte die Verlängerung der laufenden sowie die Unterstützung schon abgeschlossener Projekte, um die Nachhaltigkeit des Erreichten zu sichern und so einen stabilen Beitrag zur Ernährungssouveränität des Landes zu leisten.

Die politische Arbeit
Zwei herausragende Köpfe sind aus der Geschichte von Cuba Sí nicht wegzudenken: Marion Gerber und Reiner Thiele. Ihnen gelang es, die vielen unterschiedlichen Charaktere, Biografien und Meinungen zusammenzuführen – und vor allem auch zusammenzuhalten. Unter ihrer klugen Führung formte sich das Selbstverständnis unserer Arbeitsgemeinschaft. Cuba Sí wurde auch innerhalb der Partei DIE LINKE zu einer wichtigen und starken politischen Kraft. Das zeigte sich einmal mehr im
Jahr 2006, als drei Europaabgeordnete der PDS im Europäischen Parlament einem Antrag der konservativen Fraktion zur Verurteilung Kubas zustimmten. Die folgenden Diskussionen und die Verteidigung Kubas innerhalb der PDS trugen wesentlich zur Profilierung unserer Solidaritätsorganisation bei und brachten Cuba Sí viel Zustimmung und Sympathie von der Basis der Partei. Unsere Compañeros arbeiteten und arbeiten in zahlreichen Initiativen und Organisationen mit, so z.B. im Berliner Vorbereitungskomitee zu den 14.Weltfestspielen 1997 in Havanna, in der Venezuela-Solidarität, beim Europäischen Sozialforum, im Netzwerk Cuba (einem Zusammenschluss aller Kuba-Solidaritätsgruppen in Deutschland). Und Cuba Sí ist immer dabei, wenn es um die Befreiung der Cuban Five geht. Cuba Sí organisiert jedes Jahr ein Ferienlager sowieWorkcamps, um vor allem junge Leute für Kuba zu interessieren, sie für die Auswirkungen von US-Blockade und der Politik der EU zu sensibilisieren. Seit 1998 erscheint zweimal im Jahr unsere Cuba-Sí-Revista. Mit ihr legen wir gegenüber unseren Spendern Rechenschaft über die Verwendung der Gelder ab, aber wir versuchen auch, den Lesern in Deutschland
ein realistisches Bild von Kuba zu vermitteln. Cuba Sí unterstützte die Einrichtung des Berliner Büros von Prensa Latina und unterzeichnete im Februar 2010 ein Kooperationsabkommen mit der kubanischen Nachrichtenagentur, um den Informationsaustausch in beide Richtungen auszubauen. Jedes Jahr zum 26. Juli organisieren wir in Berlin eine riesige Fiesta de Solidaridad, an der Kuba-Freunde aus ganz Deutschland teilnehmen. Einen richtigen Coup landete Cuba Sí in den Jahren 2004 bis 2007. Deutschland war zur Buchmesse Havanna als Ehrengastland eingeladen, hatte schon zugesagt, boykottierte dann aber die Teilnahme. Und es war unser Reiner, der die „verrückte“ Idee hatte, diesen Boykott der deutschen Regierung zu brechen. Zusammen mit der Tageszeitung „junge Welt“ und anderen Solidaritätsgruppen gründete Cuba Sí das Berliner Büro Buchmesse Havanna. Es gelang uns in diesen vier Jahren, jeweils mehr als 40 deutschsprachige Verlage zur Buchmesse zu schicken und somit den Boykott wirkungslos zu machen – ein großer Sieg der Solidarität! Seit 2008 nimmt Deutschland wieder offiziell an der Buchmesse teil.

Die Arbeitsgemeinschaft
Seit 1991 ist unsere Arbeitsgemeinschaft personell stark gewachsen. Heute zählen wir rund 400 ehrenamtliche Mitstreiter. Sie arbeiten in über 40 Regionalgruppen in der ganzen Bundesrepublik. Drei hauptamtliche Mitarbeiter koordinieren unsere Solidaritätsarbeit. Man kann fast sagen, dass schon eine zweite Generation von Kuba-Freunden herangewachsen ist: Die Kinder unseres Gründungsmitgliedes Reiner Thiele, Tobi und Flori, waren 1991 gerade mal 5 und 10 Jahre alt. Heute ist Flori der Bühnentechniker für Cuba Sí, und Tobi unterstützt uns als Musiker bei vielen Veranstaltungen. Viele Mitstreiter haben sich mit ihrem Können und ihren Spezialgebieten in die Solidaritätsarbeit eingebracht und halten uns seit vielen Jahren die Treue. Heute nach 20 Jahren ist es für die Jüngeren unter uns oft spannend, wenn die „Alten“ Anekdoten aus den ersten Jahren erzählen. Am Hauptsitz von Cuba Sí im Berliner Karl-Liebknecht-Haus etablierte sich schon in der Anfangszeit ein regelmäßig mittwochs tagender Koordinierungsrat (das ist bis heute so!), und all der ehrenamtlichen Arbeit wurde System gegeben. Als Arbeitsgemeinschaft der PDS (und später der LINKEN) war und ist Cuba Sí natürlich auch immer mit den Geschicken der Partei verbunden. Die Mitarbeit bei Cuba Sí ist aber nicht an eine Parteimitgliedschaft in
 er LINKEN gebunden – zu uns haben auch parteilose Kubafreunde, Mitglieder der DKP und Mitglieder aus verschiedenen sozialen Initiativen gefunden. Einmal im Jahr kommen alle Regionalgruppen zu einem Bundestreffen am Werbellinsee zusammen, um die gemeinsame Arbeit zu koordinieren – und natürlich auch gemeinsam zu feiern. Cuba Sí realisiert seine Projekte ausschließlich durch Spenden. Deshalb wollen wir an dieser Stelle unbedingt unsere vielen Tausend Spender
erwähnen, ohne die diese Hilfe für Kuba nicht möglich wäre.

Die nächsten 20 Jahre
Eine wichtige Aufgabe und Herausforderung für unsere Arbeitsgemeinschaft wird in den kommenden Jahren die Nachwuchsarbeit und der Aufbau neuer Regionalgruppen vor allem imWestteil Deutschlands sein. Mit dem Zusammenschluss der PDS und derWASG zur Partei DIE LINKE im Jahr 2007 haben wir die Chance, auch im „Westen“ noch mehr Mitstreiter zu finden. Die neuen Parteistrukturen dort werden dabei sehr hilfreich sein. „Kuba – verloren im Ozean?“ war der fragende Titel unserer ersten Konferenz im Jahr 1991. Kuba hat überlebt! Und jeder Fortschritt, jeder
Erfolg – bei der Ernährungssicherheit Kubas, bei der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, bei der Eröffnung neuer Perspektiven, bei der Bewahrung der nationalen Souveränität, bei der Beseitigung der US-Blockade und des „Gemeinsamen Standpunktes“ der EU, bei der Befreiung der Cuban Five – ist für uns neuer Ansporn. Viva Cuba! Viva la Solidaridad! 

Hier das aktuelle Flugblatt zum herunterladen

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